Die letzte Delikatesse
strahlte und umhüllte mich mit dieser warmen und wohlriechenden Ausstrahlung!«
»Ich hatte eher den Eindruck, die Kirche zu betreten«, sage ich erleichtert, denn ich habe die Triebfeder meiner Intuition und also meiner Argumentation gefunden (ich stoße innerlich einen langen, stummen Seufzer aus). »Meine Großmutter war bei weitem nicht so fröhlich und so heiter. Sie verkörperte eher ein Bild von nüchterner, ergebener Würde, war durch und durch protestantisch und kochte zwar mit Ruhe und großer Sorgfalt, aber ohne Leidenschaft und innere Erregung, inmitten von Suppenschüsseln und Platten aus weißem Porzellan, die vor einer Tischrunde mit stummen Gästen aufgetragen wurden, welche ohne Hast und sichtbare Gemütsbewegung Gerichte aßen, bei denen man vor Jubel und Genuß fast platzte.«
»Seltsam«, sagt er, »ich habe den Erfolg und den Zauber jener Küche, die für mich die Gutherzigkeit und Köstlichkeit selbst war, immer ihrer guten Laune und ihrer südländischen Sinnlichkeit zugeschrieben. Ich dachte sogar manchmal, es seien ihre Einfalt, ihre bescheidene Bildung und Kultur, die aus ihr eine vollendete Köchin machten, indem die ganze Energie, die sie nicht für den Kopf brauchte, für das Essen frei wurde.«
»Nein«, sage ich nach kurzem Überlegen, »was ihrer beider Kunst ausmachte, war weder ihr Charakter noch ihre Lebenskraft, genausowenig wie ihr einfaches Gemüt, ihre Liebe zur gut gemachten Arbeit oder ihre nüchterne Strenge. Ich glaube, sie waren sich bewußt, ohne es sich einzugestehen, daß sie eine edle Aufgabe erfüllten, in der sie sich hervortun konnten und die nur scheinbar untergeordnet, materiell oder zweckbetont war. Ungeachtet aller Erniedrigungen, die sie über sich ergehen lassen mußten – nicht in ihrem eigenen Namen, sondern aufgrund ihrer Stellung als Frauen –, wußten sie genau, daß, wenn die Männer heimkamen und sich setzten, ihre ureigene Herrschaft beginnen konnte. Und es handelte sich dabei nicht um die Aneignung der ›inneren Wirtschaft‹ wo sie, ihrerseits Regentinnen, sich an der Macht gerächt hätten, die die Männer ›außerhalb‹ ausübten. Weit mehr als das, sie wußten, daß sie Meisterwerke vollbrachten, die den Männern direkt ans Herz und in den Körper gingen und ihnen in deren Augen mehr Größe verliehen, als sie selber den Ränkespielen um Geld und Macht oder den gesellschaftlichen Vorrechten zugestanden. Sie hatten sie in der Hand, ihre Männer, nicht etwa durch das Band des häuslichen Dienstes, nicht durch die Kinder, die Ehrbarkeit oder gar das Bett – sondern durch die Geschmacksknospen, und zwar so sicher, als hätten sie die Männer in einen Käfig gesperrt, in den sich diese freiwillig hineingestürzt hatten.«
Er hört mir mit großer Aufmerksamkeit zu, und ich entdecke an ihm diese bei den Machtmenschen seltene Gabe, die einen erkennen läßt, wann die Parade aufhört, die Konversation, bei der jeder nur sein Gebiet markiert und seine Stärke demonstriert, und wann der echte Dialog beginnt. Um uns herum dagegen herrscht Auflösung. Der überhebliche junge Mann, eben noch so erpicht darauf, mich mit seinem Spott zu geißeln, hat jetzt eine wächserne Gesichtsfarbe und einen stumpfsinnigen Blick. Die anderen stehen sprachlos am Abgrund der Verzweiflung. Ich fahre fort.
»Was empfanden sie wohl, jene von sich selbst eingenommenen Männer, jene ›Familienoberhäupter‹, die eine patriarchalische Gesellschaft von Anfang an darauf gedrillt hatte, einst Herren und Meister zu sein, wenn sie den ersten Bissen der einfachen, erstaunlichen Gerichte zum Munde führten, die ihre Frauen in ihren privaten Laboratorien zubereitet hatten? Was empfindet ein Mann, dessen von Gewürzen, Sauce, Fleisch, Sahne und Salz gesättigte Zunge plötzlich erfrischt wird durch die Berührung mit einer langen Eis- und Fruchtlawine, die nur gerade eine Spur rustikal, eine Spur körnig ist, damit das Vergängliche etwas weniger vergänglich sei, etwas hinausgezögert werde im langsameren Zerfließen der fruchtigen Eisklümpchen, die ganz zart vergehen … Jene Männer empfanden schlichtweg das Paradies, und wenn sie es sich auch nicht eingestanden, wußten sie doch genau, daß sie es ihren Frauen nicht gleichtun konnten, weil sie es mit ihrem ganzen Imperium und ihrer ganzen Arroganz nicht zustande brachten, ihnen vor Lust so die Sinne zu rauben, wie diese sie im Mund zum wollüstigen Genießen brachten!«
»Sehr interessant«, sagt er, »ich folge Ihnen
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