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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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aufgelöst wurde, ist meine Erinnerung vielleicht letzten Endes bloß mit einem banalen Gericht verknüpft, von dem einzig die mit ihm verbundene Emotion kostbar bleibt, welche mir eine bisher unbekannte Begabung zum Leben offenbaren könnte.

Jean
Café des Amis, 18. Arrondissement
     
     
    Alter Eitersack. Fauliges Aas. Krepier, so krepier doch. Krepier in deinen Seidenlaken, in deinem Paschazimmer, in deinem Bürgerkäfig, krepier, krepier, krepier. Dann haben wir wenigstens dein Geld, wenn wir schon deine Gunst nicht hatten. Dein ganzes Freßbonzengeld, das dir nichts mehr nützt, das anderen zufällt, das Geld des Besitzers, das Geld deiner Korruption, deiner Schmarotzertätigkeit, dieses ganze Fressen, dieser ganze Luxus, ach, welche Verschwendung … Krepier … Alle drängen sie um dich – Mama, dabei sollte dich Mama eigentlich alleine sterben lassen, dich im Stich lassen, wie du sie im Stich gelassen hast, doch sie tut es nicht, sie bleibt bei dir, untröstlich, man könnte meinen, sie sei dabei, alles zu verlieren. Ich werde es nie verstehen, diese Verblendung, diese Schicksalsergebenheit und diese Fähigkeit, sich einzureden, sie habe das Leben gehabt, das sie sich wünschte, diese Berufung zur Märtyrerin, ach, es widert mich an, Mama, Mama … Und dann dieser Arschkriecher von Paul, mit seinem Gehabe eines verlorenen Sohnes, seiner Heuchelei des geistigen Erben, der bestimmt ums Bett herumschleicht, »möchtest du ein Kissen, Onkel, soll ich dir ein paar Seiten Proust, Dante, Tolstoi vorlesen?«. Ich kann ihn nicht riechen, den Kerl, ein echter Schweinehund, ein anständiger Bürger, der hochnobel tut und an der Rue Saint-Denis die Dirnen aufreißt, genau, ich habe ihn dort unten aus einem Haus kommen sehen … Ach, was hat es denn für einen Sinn, wirklich, was hat es für einen Sinn, das alles wieder aufzurühren, meine Bitterkeit eines häßlichen kleinen Entleins aufzurühren und ihm recht zu geben: »Meine Kinder sind Schwachköpfe«, das sagte er seelenruhig in unserer Gegenwart, alle waren peinlich berührt, nur er nicht, er sah nicht einmal, weshalb es schockierend war, so etwas nicht nur zu sagen, sondern auch zu denken! Meine Kinder sind Schwachköpfe, vor allem mein Sohn. Aus denen wird man nie etwas machen. Aber ja doch, Vater, du hast etwas aus deinen Bälgern gemacht, sie sind nichts anderes als dein Werk, du hast sie fein gehackt, zerlegt, in einer miesen Sauce ertränkt, und das ist aus ihnen geworden: Dreck, Versager, Schwächlinge, Jammerlappen. Ach! Und dabei hättest du Götter aus ihnen machen können, aus deinen Kindern! Ich erinnere mich, wie stolz ich war, wenn ich mit dir ausging, wenn du mich auf den Markt mitnahmst, ins Restaurant; ich war ganz klein, und du warst so groß, mit deiner kräftigen, warmen Hand, die mich hielt, und deinem Profil von unten, diesem kaiserlichen Profil, und dieser Löwenmähne! Du warst eine imposante Erscheinung, und ich war glücklich, überglücklich, einen Vater wie dich zu haben … Und da bin ich nun, schluchzend, mit gebrochener Stimme, zerschlagenem Herzen, zerstört; ich hasse dich, ich liebe dich, und ich hasse mich für diese Zwiespältigkeit, ich könnte schreien, diese verfluchte Zwiespältigkeit, die mein Leben kaputtgemacht hat, weil ich dein Sohn geblieben bin, weil ich nie etwas anderes war als der Sohn eines Ungeheuers!
    Der Leidensweg besteht nicht darin, sich von jenen zu trennen, die einen lieben, sondern sich von denen zu lösen, die einen nicht lieben. Und ich verbringe mein tristes Leben damit, mir glühend deine Liebe zu wünschen, die du uns vorenthalten hast, diese fehlende Liebe, großer Gott, habe ich denn nichts Besseres zu tun, als mein trauriges Los als armer, ungeliebter kleiner Junge zu beklagen? Dabei ist jetzt etwas ganz anderes wichtig, ich werde auch bald sterben, und es ist allen egal, auch mir ist es egal, es ist mir egal, weil er in diesem Moment am Krepieren ist und ich ihn liebe, diesen Schuft, ich liebe ihn, ach Scheiße …

Der Küchengarten
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Das Haus meiner Tante Marthe, ein baufälliges, von Efeu überwuchertes altes Gebäude, sah mit dem zugemauerten Fenster auf seiner Frontseite leicht anrüchig aus, was durchaus zu dem Ort und seiner Bewohnerin paßte. Tante Marthe, die älteste Schwester meiner Mutter und die einzige, die keinen Spitznamen abbekommen hatte, war in der Tat eine barsche, häßliche und übelriechende alte Jungfer, die zwischen Hühnerhaus und

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