Die letzte Delikatesse
verwirklichten Wünsche? Für jemanden wie mich, der im Leben schon Erfüllung gefunden hat, verdienen sie erst Interesse, wenn sie endlich weggehen und etwas anderes werden als Söhne oder Töchter. Ich liebe sie nicht, ich habe sie nie geliebt, und ich empfinde keinerlei Gewissensbisse deswegen. Daß sie ihrerseits ihre gesamte Energie darauf verschwenden, mich mit aller Kraft zu hassen, ist nicht meine Sache – die einzige Vaterschaft, zu der ich mich bekenne, ist mein Werk. Und vielleicht nicht einmal das: Dieser verborgene und unauffindbare Geschmack läßt mich beinahe daran zweifeln.
Meine Großeltern liebten uns auf ihre Art: uneingeschränkt. Sie hatten aus ihren eigenen Kindern eine Reihe von Neuropathen und Degenerierten gemacht – ein schwermütiger Sohn, eine hysterische Tochter, eine andere, die Selbstmord begangen hatte, bis hin zu meinem Vater, der dem Wahnsinn nur um den Preis völliger Phantasielosigkeit entgangen war und der eine Frau genommen hatte, die seinen Charakter widerspiegelte: Der Halt meiner Eltern waren ihre beflissene Lauheit und Mittelmäßigkeit, die sie vor der Maßlosigkeit, das heißt vor dem Abgrund, bewahrten. Doch ich, einziger Sonnenstrahl im Dasein meiner Mutter, war ihr Gott, und ein Gott bin ich geblieben, wobei ich nichts von ihrem traurigen Gesicht, ihrer leblosen Küche und ihrer ein wenig jammernden Stimme bewahrt habe, dafür alles von ihrer Liebe, die mir die Selbstsicherheit der Könige verlieh. Von seiner Mutter vergöttert worden zu sein … Dank ihr habe ich Weltreiche erobert, bin ich das Leben mit jener unwiderstehlichen Rücksichtslosigkeit angegangen, die mir die Pforten zum Ruhm geöffnet hat. Überglücklich als Kind, konnte ich als Mann unerbittlich werden dank der Liebe einer Megäre, die letzten Endes nur ihr fehlender Ehrgeiz zur Sanftmut nötigte.
Mit ihren Enkeln hingegen waren meine Großeltern die entzückendsten Menschen. Die Gutmütigkeit und der Schalk ihres innersten Wesens, die durch die Bürde ihres Elternseins geknebelt waren, entfalteten sich in ihrer Freiheit als Großeltern. Der Sommer war ganz Ungebundenheit. Alles schien möglich in jener Welt vergnüglicher, verschwörerischer Expeditionen und Erkundungszüge auf den Felsen am Strand, nach Einbruch der Nacht; in jener unerhörten Großzügigkeit, mit der alle zufälligen Nachbarn dieser Sommertage an unseren Tisch geladen wurden. Meine Großmutter waltete am Herd mit stolzer Ruhe ihres Amtes. Sie wog über hundert Kilogramm, hatte einen Schnurrbart, lachte wie ein Mann und zeterte mit dem Liebreiz eines Fuhrmanns hinter uns her, wenn wir uns in die Küche wagten. Unter ihren sachkundigen Händen aber verwandelten sich die nichtssagendsten Substanzen in Wunderwerke. Der Weißwein floß in Strömen, und wir aßen, aßen und aßen. Seeigel, Austern, Muscheln, gebratene Garnelen, Krebse mit Mayonnaise, Kalmar an Sauce, aber auch (»man kann sich nun mal nicht ändern«) Schmorbraten, Blanquettes, Paëlla, gebratenes Geflügel, geschmortes Geflügel, Geflügel an Sahne; das reinste Schlaraffenland.
Einmal im Monat setzte mein Großvater beim Frühstück eine gestrenge und feierliche Miene auf, erhob sich wortlos und ging allein an den Hafen zum täglichen Fischverkauf. Da wußten wir, daß heute der Tag war. Meine Großmutter hob die Augen zum Himmel, brummte, »das werde ja wieder eine Ewigkeit stinken«, und murmelte etwas Unfreundliches über die Kochkünste ihres Gatten. Ich, zu Tränen gerührt beim Gedanken, was uns erwartete, wußte zwar genau, daß sie scherzte, nahm es ihr aber trotzdem kurz übel, daß sie in diesem geheiligten Moment nicht demütig das Haupt neigte. Eine Stunde später kam mein Großvater mit einer riesigen Kiste, die nach Gezeiten roch, vom Hafen zurück. Er schickte uns »Knirpse« an den Strand, und wir machten uns zitternd vor Aufregung davon, in Gedanken schon wieder zurück, doch fügsam bestrebt, ihn nicht zu verstimmen. Wenn wir um ein Uhr in seliger Erwartung des Mittagessens zurückkehrten, nachdem wir gebadet hatten, ohne recht bei der Sache zu sein, sogen wir schon an der Straßenecke den himmlischen Geruch ein. Ich hätte schluchzen mögen vor Glück.
Die gebratenen Sardinen erfüllten das ganze Viertel mit ihrem Duft nach Ozean und Asche. Dichter, grauer Rauch stieg aus der Thujahecke, die den Garten umgab. Die Männer der Nachbarhäuser waren gekommen, meinem Pépé tatkräftig zur Seite zu stehen.
Auf riesigen Rosten brutzelten die
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