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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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Kaninchenstall in einem unglaublich pestilenzialischen Gestank lebte. Im Innern selbstverständlich kein Wasser, keine Elektrizität, kein Telefon, kein Fernseher. Woran wir bei ihr jedoch vor allem litten – abgesehen von diesen Verstößen gegen den modernen Komfort, die ich mit meiner Vorliebe für Landpartien gelassen hinnahm –, war eine viel bedenklichere Plage: Es gab nichts in ihrem Haus, das nicht klebte, das einem nicht an den Fingern haftenblieb, wenn man einen Gegenstand ergreifen wollte, am Ellbogen, der unglücklicherweise gegen ein Möbel stieß; sogar das Auge sah buchstäblich den schmierigen Film, der alles überzog. Wir aßen nie mit ihr, weder zu Mittag noch zu Abend, und nur allzu glücklich, uns auf ein Picknick zu berufen, das auf gar keinen Fall verpaßt werden durfte (»es wäre ein Verbrechen, bei so schönem Wetter nicht am Ufer der Golotte zu Mittag zu essen«), machten wir uns erleichterten Herzens davon.
    Das Land. Mein ganzes Leben habe ich in der Stadt verbracht, berauscht vom Marmor, mit dem das Vestibül des Hauses ausgelegt ist, in dem ich wohne, vom roten Teppich, der darin Schritte und Gefühle dämpft, von den Delfter Fayencen, die das Treppenhaus zieren, und von der luxuriösen Holztäfelung, mit der das erlesene kleine Boudoir, das man Aufzug nennt, diskret verkleidet ist. Jeden Tag, jede Woche kehrte ich von meinen Essen in der Provinz zum Asphalt zurück, zum vornehmen Firnis meiner bürgerlichen Residenz, schloß meinen Durst nach Grün zwischen vier von Meisterwerken erdrückte Wände ein, und mehr und mehr vergaß ich, daß ich für die Bäume geboren wurde. Das Land … Meine grüne Kathedrale … Dort hat mein Herz die inbrünstigsten Lobgesänge gesungen, dort hat mein Auge die Geheimnisse des Schauens, mein Gaumen den Geschmack von Wildbret und Gartengemüse, meine Nase die Feinheit der Düfte ergründet. Denn trotz ihrer ekelerregenden Höhle besaß Tante Marthe einen Schatz. Ich bin mit den größten Spezialisten zusammengetroffen, die direkt oder indirekt mit der Welt des Geschmacks zu tun haben. Wer Koch ist, kann es nur voll und ganz sein, wenn er seine fünf Sinne mobilisiert. Ein Gericht muß ein Genuß sein für das Auge, für den Geruchssinn, den Geschmackssinn natürlich – aber auch für den Tastsinn, der bei so mancher Gelegenheit des Chefkochs Wahl beeinflußt und beim gastronomischen Fest seine Rolle spielt. Es stimmt zwar, daß das Gehör nicht so recht in die Runde zu passen scheint; aber man ißt nicht in der Stille, sowenig wie bei Klamauk; jeder Ton, der den Akt des Essens überlagert, trägt zum Genuß bei oder wirkt störend, so daß man von einer Mahlzeit wahrlich sagen kann, sie sei kinästhetisch. Ich mußte denn auch oft mit irgendwelchen Duftexperten speisen, die sich nach den Wohlgerüchen der Blumen von jenen verlocken ließen, die einer Küche entströmen.
    Keine Nase wird an Feinheit jemals der von Tante Marthe gleichkommen. Die alte Mähre war nämlich, ohne daß sie es wußte, selber eine Nase, eine große, eine Super-Nase, die so unglaublich empfindlich war, daß sie, hätte man ihr die Gelegenheit geboten, jede Konkurrenz ausgestochen hätte. Diese ungehobelte Frau, beinahe Analphabetin, dieser Abschaum der Menschheit, die ihre Umgebung mit Modergeruch verpestete, hatte einen Garten mit paradiesischen Düften angelegt. In einem kunstvollen Kunterbunt von wilden Blumen, von Geißblatt, von alten Rosensorten, deren verblichener Farbton sachkundig erhalten wurde, prunkte ein mit leuchtenden Pfingstrosen und blauem Salbei übersäter Küchengarten mit den schönsten Salatköpfen der Gegend. Kaskaden von Petunien, Lavendelwäldchen, immergrüner Buchsbaum, eine uralte Glyzinie am Frontgiebel des Hauses: Aus diesem arrangierten Wirrwarr trat das Beste ihrer selbst zutage, das weder der Schmutz noch ihre ekelerregende Ausdünstung, noch die Schäbigkeit einer der Leere geweihten Existenz zu verschütten vermochten. Wie viele alte Frauen auf dem Land verfügen doch über ein außergewöhnliches intuitives Sensorium, das sie ganz in den Dienst ihrer Gärten, ihrer Kräutertränke oder Thymian-Kaninchenragouts stellen, und sterben als verkannte Genies, ohne daß jemand um ihre Begabung gewußt hat – denn wir erkennen meist nicht, daß das, was uns so nichtssagend, so lächerlich erscheint, ein chaotischer Garten mitten auf dem Land etwa, zu den schönsten Kunstwerken gehören kann. In diesem Traum von Blumen und Gemüse trat ich mit meinen

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