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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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erbärmlich ausschauen, meine armen müden Augen, und wenn eine Katze auch nicht weint, so kann sie deswegen doch Traurigkeit ausdrücken) und mühsam hervorgestoßen: »Hör nie auf die Ärzte, mein Schatz.« Aber ich sehe genau, daß dies das Ende ist. Seines und meines, denn ich habe immer gewußt, daß wir gemeinsam sterben müssen. Und während seine rechte Hand auf meinem fügsamen Schwanz ruht und ich meine Pfoten sorgfältig auf der prallen Rundung des Daunenbetts plaziere, erinnere ich mich.
    Der Ablauf war immer der gleiche. Ich hörte seinen raschen Schritt auf den Fliesen des Hauseingangs, und schon kam er, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch. Augenblicklich sprang ich auf meine Samtpfoten, flitzte unverzüglich in den Flur, wo ich zwischen Garderobe und marmornem Konsoltischchen auf dem mit Ockergelb durchwirkten Kelim artig wartete.
    Er öffnete die Tür, zog seinen Überzieher aus, hängte ihn mit einer knappen Bewegung auf, sah mich schließlich und beugte sich zu mir herunter, um mich lächelnd zu streicheln. Anna kam herbeigeeilt, doch er blickte sie nicht an, er fuhr fort, über mein Fell zu streichen, mich freundlich zu tätscheln. »Die Katze ist doch nicht dünner geworden, Anna?« fragte er mit einem Anflug von Besorgnis in der Stimme. »Aber nein, mein Lieber, aber nein.« Ich folgte ihm in sein Arbeitszimmer, führte seine Lieblingsnummer vor (sich zusammenkauern, zum Sprung ansetzen und geschmeidig wie Leder lautlos auf der Schreibunterlage aus Maroquin landen). »Ah, mein Kater, komm her, komm und erzähl mir, was in der ganzen Zeit so passiert ist … mau … ich habe einen Berg von Arbeit … aber das ist dir egal, und du hast völlig recht … oh, das kleine seidige Bäuchlein … komm, leg dich hier hin, ich muß arbeiten …«
    Es wird kein regelmäßiges Kratzen der Feder auf dem weißen Blatt mehr geben, keinen jener Nachmittage, an denen der Regen an die Scheibe prasselte, während ich in der gedämpften Behaglichkeit seines undurchdringlichen Arbeitszimmers träge neben ihm ausgestreckt lag und getreu das Entstehen seines grandiosen Werks begleitete. Nie mehr.

Der Whisky
Rue de Grenelle, Zimmer
     
     
    Mein Pépé war mit ihm im Krieg gewesen. Die beiden hatten sich seither nicht mehr viel zu sagen, aber jene denkwürdige Zeit hatte zwischen ihnen eine unauflösbare Freundschaft besiegelt, die nicht einmal mit dem Tod meines Großvaters endete, denn Gaston Bienheureux – das war sein Name – fuhr fort, die Witwe seines Freundes zu besuchen, solange sie noch lebte, und hatte sogar das unausgesprochene Zartgefühl, einige Wochen nach ihr zu sterben, nachdem er seine Pflicht erfüllt hatte.
    Bisweilen kam er geschäftehalber nach Paris, und nie versäumte er es, mit einem kleinen Karton seines Weins beim Freund hereinzuschauen. Doch zweimal pro Jahr, an Ostern und Allerheiligen, war es Großvater, der allein, ohne seine Frau, ins Burgund »hinunter« fuhr, für drei Tage, an denen vermutlich ausgiebig getrunken wurde und von denen er wenig gesprächig zurückkam, nur gerade anzudeuten geruhte, man habe »über dies und jenes geschwatzt«.
    Als ich fünfzehn wurde, nahm er mich mit. Das Burgund ist vor allem berühmt für seine Weine von der »Côte«, jenem schmalen, sattgrünen Streifen, der sich von Dijon bis Beaune erstreckt, und der auf seiner ganzen Länge mit einer beeindruckenden Palette berühmter Namen aufwarten kann: Gevrey-Chambertin, Nuits-Saint-Georges, Aloxe-Corton, und weiter südlich, fast an die Grenzen der Grafschaft verbannt, Pommard, Monthélie, Meursault. Gaston Bienheureux war nicht neidisch auf jene reichen Weingebiete. In Irancy war er geboren, in Irancy lebte er, in Irancy würde er sterben. In diesem kleinen, zwischen Hügel eingebetteten Dorf der Yonne, das ganz für die Traube lebt, die auf seinem fruchtbaren Boden gedeiht, verspürt niemand Eifersucht auf die fernen Nachbarn, denn der Nektar, den man hier liebevoll produziert, will mit niemandem rivalisieren. Er kennt seine Stärken, hat seinen Wert: Mehr braucht er nicht, um Bestand zu haben.
    Die Franzosen sind in Sachen Wein oft von einem Formalismus, der schon fast lächerlich ist. Mein Vater hatte mich einige Monate vorher zu einer Besichtigung der Kellerei des Château de Meursault mitgenommen: welch ein Prunk! Die Bögen und Gewölbe, der Pomp der Etiketten, der Kupferglanz der Gestelle, das Kristall der Gläser, das alles mochte den Wert des Weins hervorheben, doch genauso sehr

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