Die letzte Delikatesse
geschäftig vom Salon ins Arbeitszimmer trippelte, auf dem Kreuzzug gegen drei anmaßende Krähen ans andere Ende der Wiese galoppierte oder in Erwartung einer Leckerei in der Küche herumtrödelte – immer verbreitete er den verheißungsvollen Duft um sich. Er war eine ständige und lebende Ode an die Brioche vom Sonntagmorgen, wenn man, noch schläfrig, aber glücklich über den beginnenden Ruhetag, einen bequemen alten Pullover überzieht und hinuntergeht, um Kaffee zu machen, derweilen man aus den Augenwinkeln die braune Kugel auf dem Tisch überwacht. Man fühlt sich angenehm verschlafen, freut sich in der Stille noch eine Weile, nicht den Regeln eines Arbeitstages unterworfen zu sein, reibt sich die Augen mit Sympathie für sich selbst, und wenn greifbar der Duft von heißem Kaffee aufsteigt, setzt man sich endlich hin, vor die dampfende Schale, zerdrückt freundschaftlich die Brioche, die sanft auseinanderbricht, zieht ein Stück davon durch den Teller mit Puderzucker, auf der Mitte des Tischs, und erkennt mit halbgeschlossenen Augen, ohne es sich zu sagen, die bittersüße Geschmacksnote des Glücks. All diese Vorstellungen löste Rhett mit seiner wohlriechenden Gegenwart aus, und sein Kommen und Gehen als wandelnde Bäckerei hatte sehr wohl etwas mit der Liebe zu tun, die ich für ihn empfand.
In diesen Erinnerungen an Rhett, durch jenen Zwischenfall, an den ich eine Ewigkeit nicht mehr gedacht habe, habe ich einen Geruch wiedergewonnen, der mir abhanden gekommen war: den Geruch von warmem, duftendem Frühstücksgebäck, der auf dem Kopf meines Hundes nistete. Einen Geruch und mit ihm andere Erinnerungen, an die Buttertoaste, die ich in den Vereinigten Staaten am Morgen verschlang, überwältigt von der Symbiose von Brot und Butter, die man zusammen geröstet hat.
Anna
Rue de Grenelle, Flur
Was wird nur aus mir werden, mein Gott, was wird nur aus mir werden? Ich habe keine Kraft mehr, keine Energie, bin vollkommen erschöpft, ausgelaugt … Ich weiß genau, daß sie es nicht verstehen, außer Paul vielleicht, ich weiß, was sie denken … Jean, Laura, Clémence, wo bleibt ihr? Warum dieses Schweigen, warum diese Distanz, warum all diese Mißverständnisse, wo wir fünf doch so glücklich hätten sein können? Ihr seht nur den mürrischen und autoritären alten Mann, ihr habt immer nur einen Tyrannen gesehen, einen Unterdrücker, einen Despoten, der uns das Leben unerträglich machte, euch und mir – ihr wolltet meine Ritter sein, die mich über mein Elend als vernachlässigte Ehefrau hinwegtrösten würden, und letztlich habe ich euch in eurem Glauben gelassen, habe euch meinen Alltag mit eurem liebevollen, erfrischenden Kinderlachen erhellen lassen, habe euch meine Leidenschaft, meine Gründe verschwiegen. Habe euch verschwiegen, wer ich bin.
Ich habe immer gewußt, welches Leben wir zusammen führen würden. Vom ersten Tag an habe ich das glanzvolle Dasein vorausgesehen – sein glanzvolles Dasein, weit weg von mir, die anderen Frauen, die Laufbahn eines Verführers mit einem grandiosen, fabelhaften Talent; ein Prinz würde er sein, ein Grandseigneur, der ständig außerhalb seines Heims auf der Jagd wäre und sich Jahr für Jahr ein bißchen weiter entfernen, mich nicht einmal mehr sehen, meine gequälte Seele mit seinen Falkenaugen durchbohren würde, um dahinter etwas zu erblicken, was mir nicht zugänglich wäre. Ich habe es immer gewußt, und es zählte nicht. Es zählte allein seine Rückkehr, und er kehrte immer zurück, das genügte mir, es genügte mir, diejenige zu sein, zu der man zurückkehrt, zerstreut, schattenhaft – aber sicher. Wenn ihr doch wüßtet, wenn ihr begreifen würdet … Wenn ihr wüßtet, welche Nächte ich verbracht habe in seinen Armen, zitternd vor Erregung, verrückt vor Verlangen, erdrückt von seinem königlichen Gewicht, seiner göttlichen Kraft, glücklich, so glücklich wie die verliebte Frau im Harem an den Abenden, wo sie an der Reihe ist, wenn sie andächtig die Perlen seiner Blicke empfängt – denn sie lebt nur für ihn, für seine Umarmungen, sein Licht. Vielleicht findet er sie lau, schüchtern, kindlich; draußen gibt es andere Geliebte, Tigerinnen, sinnliche Katzen, lüsterne Pantherweibchen, mit denen er in einer Orgie von Röcheln und erotischer Gymnastik brüllt vor Lust, und wenn es vorbei ist, hat er den Eindruck, er habe die Welt neu erschaffen, ist erfüllt von Stolz, erfüllt vom Glauben an seine Männlichkeit – sie aber kostet
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