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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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mich mühsam in Bewegung setzte. Mit leicht scheelem Blick und einer von den Unwägbarkeiten des Alkohols schweren Zunge folgte ich ihm in den hinteren Teil des Kellers, und obschon ich lebhaft interessiert war an diesem neuen Konzept, dem FMG, das mir ganz neue Horizonte auf den Lebensstil des kultivierten Gentlemans eröffnete, jagte mir die Aussicht auf eine Fortsetzung des Gelages doch etwas Angst ein. »Da du noch ein bißchen jung bist für die ernsthaften Sachen«, fuhr er vor einem mit einem riesigen Schloß bewehrten Festungsschrank fort, »und man bei den Eltern, die du hast, auch nicht zu viel erwarten darf« (er warf meinem Großvater heimlich einen Blick zu, der betonschwer war vor Ungesagtem – Albert sagte keinen Piep), »will mir scheinen, man müsse dir die Röhre mit etwas Stärkerem fegen. Einen Tropfen wie den, den ich dir hervorholen werde, hast du noch nie getrunken, das ist mal sicher. Was vom Feinen. Eine Taufe. Das nenn’ ich echte Erziehung.«
    Er kramte aus einer bodenlosen Tasche einen dichtbehängten Bund mit Schlüsseln hervor, steckte einen davon in das riesige Schloß, drehte ihn um. Das Gesicht meines Großvaters war unvermittelt ernster geworden. Aufgeschreckt durch diese plötzliche Feierlichkeit, schniefte ich nervös, streckte mein vom Bechern völlig eingesacktes Rückgrat und wartete ziemlich beklommen, bis Gaston ganz gewichtig eine Flasche mit schwarzer Etikette, die keine Weinflasche war, sowie ein breites, flaches, schlichtes Glas aus dem Panzerschrank hervorgeholt hatte.
    Der FMG. Er ließ seinen Whisky aus Schottland kommen, von einer der besten Brennereien des Landes. Der Besitzer war ein Bursche, den er in der Normandie kennengelernt hatte, gleich nach dem Krieg, und mit dem er sofort die gemeinsame Vorliebe für die alkoholhaltigen Wässerchen entdeckt hatte. Jedes Jahr kam eine Kiste des wertvollen Whiskys zu den paar Flaschen hinzu, die er für seinen persönlichen Bedarf aufhob. Und von Rebstock zu Torf, von Rubin zu Bernstein und von leichtem zu starkem Alkohol, brachte er die beiden miteinander in Einklang – den einen vor, den anderen während der Mahlzeiten, die er selbst als zutiefst europäisch bezeichnete.
    »Ich verkaufe gute Sachen, die besten sind für meine Kehle.« Durch die delikate Art, wie er die paar von der Weinlese abgezweigten Flaschen sowie den Whisky seines Freundes Mark behandelte (seinen üblichen Besuchern bot er lediglich einen sehr guten Whisky an, den er in der Gegend kaufte und der neben dem schottischen etwa das war, was die Dosentomate im Vergleich zu ihrer Schwester aus dem Gemüsegarten), stieg er schlagartig in der Achtung des Jugendlichen, der schon ahnte, daß sich Größe und Meisterschaft an den Ausnahmen messen und nicht an den Regeln, und seien es die Regeln von Königen. Dieser kleine private Keller hatte aus Gaston Bienheureux vor meinen Augen soeben einen potentiellen Künstler gemacht. Ich verdächtigte in der Folge sämtliche Gastronomen, bei denen ich speiste, nur die minderen Erzeugnisse ihres Gewerbes auf den Tischen auszubreiten und in der geheimen Abgeschiedenheit ihrer Kochnischen göttliche, dem gewöhnlichen Sterblichen nicht zugängliche Speisen für sich selbst aufzusparen. Doch im Moment lagen diese philosophischen Betrachtungen in weiter Ferne. Ich starrte schwerfällig auf das bißchen goldbraune Flüssigkeit in meinem Glas, und ganz bange suchte ich tief in meinem Inneren den Mut, mich ihr zu stellen.
     
    Schon der unbekannte Geruch verwirrte mich unsäglich. Welch gewaltiger Angriff, welch kräftige Explosion, abrupt, trocken und fruchtig zugleich, wie eine Ladung Adrenalin, das aus dem Gewebe, wo es gelagert ist, entweicht, um sich an der Nasenoberfläche zu verflüchtigen, ein gasförmiges Kondensat von sensorischen Klippen … Verblüfft entdeckte ich, daß mir dieser beißende Fermentationsgeruch gefiel.
    Wie eine zartbesaitete Marquise nippte ich vorsichtig am torfigen Magma und … oh gewaltiger Effekt! Eine Detonation von Pfeffer und entfesselten Elementen geht da plötzlich los im Mund; die Organe existieren nicht mehr, es gibt keinen Gaumen mehr, keine Wangen und keine Schleimhäute: nichts als die verheerende Empfindung, in unserem Inneren sei ein tellurischer Krieg ausgebrochen. Ich ließ aus Verzückung den ersten Schluck einen Augenblick auf der Zunge verweilen, konzentrische Wellen durchströmen sie noch eine ganze Weile. Das ist die erste Art, den Whisky zu trinken: indem man ihn gierig

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