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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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schlürft, um seinen herben und unwiderruflichen Geschmack tief in sich aufzunehmen. Der zweite Mundvoll hingegen geschah überstürzt; einmal hinuntergeschluckt, erwärmte er meinen Solarplexus erst mit Verzögerung – doch welche Erwärmung! In dieser stereotypen Geste des Schnapstrinkers, der den Trank seiner Begierde in einem Zug hinunterstürzt, einen Moment wartet, unter dem Schock dann die Augen schließt und einen mit Erschütterung durchmischten Seufzer des Wohlbehagens ausstößt, besteht die zweite Art, den Whisky zu trinken, in einer fast gänzlichen Unempfindlichkeit der Geschmacksknospen nämlich, weil der Alkohol die Kehle nur gerade passiert, und der vollkommenen Empfänglichkeit des Plexus, der von einer plötzlichen Hitze durchdrungen wird, wie bei der Explosion einer Äthylplasmabombe. Das wärmt, das heizt, das rüttelt und schüttelt, das weckt, das tut gut. Eine Sonne, die mit ihren wohlwollenden Strahlen dem Körper die Gewißheit ihrer wärmenden Gegenwart gibt.
    So trank ich im Herzen des Weinburgunds meinen ersten Whisky und erprobte zum ersten Mal seine Macht, Tote zum Leben zu erwecken. Ironie aller Dinge: Daß ich ihn ausgerechnet dank Gaston entdeckt habe, hätte mich auf die Spur meiner wahren Leidenschaften führen sollen. Während meiner ganzen Karriere betrachtete ich ihn lediglich als ein Getränk, das zwar köstlich, aber dennoch zweitklassig war, und die bedeutendsten Elogen und Prophezeiungen meines Werks habe ich ausschließlich dem Gold des Weins vorbehalten. Ach … ich erkenne es erst heute: Der Wein ist das raffinierte Schmuckstück, das die Frauen aus reiner Schicklichkeit dem funkelnden Straß vorziehen, den die kleinen Mädchen bewundern; ich habe gelernt zu lieben, was geliebt zu werden verdient, doch ich habe versäumt zu pflegen, was eine spontane Leidenschaft jeder Notwendigkeit zur Erziehung enthob. Im Grunde liebe ich nur das Bier und den Whisky – wenn ich auch anerkenne, daß der Wein göttlich ist. Und da feststeht, daß der heutige Tag nichts als eine lange Reihe von Reueakten sein wird, hier also ein weiterer: Oh diabolischer Whisky, ich habe dich vom ersten Schluck an geliebt, vom zweiten an verraten – doch nie wieder habe ich, eingeengt in die Geschmackszwangsjacke meiner Stellung, eine derartige atomare Expansion erlebt, daß es einem den Kiefer wegschwemmt vor Wonne.
    Verzweiflung: ich belagere meinen verlorenen Geschmack in der falschen Stadt … Weder Wind noch Heidekraut auf ödem, flachem Land, weder tiefe Seen noch Mauern aus düsterem Stein. All dem fehlt Milde, Freundlichkeit, Maß. Eis statt Feuer: Ich stecke in einer Sackgasse.

Laure
Nizza
     
     
    On est bien peu de chose, et mon amie la rose me l’a dit ce matin … Mein Gott, wie traurig dieses Lied doch ist … wie traurig ich selber bin … und müde, so müde …
    Ich bin in eine alte französische Familie hineingeboren worden, wo die Werte heute noch sind, was sie immer schon waren: unverrückbar wie Granit. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, daß man sie in Frage stellen könnte; eine törichte und altmodische Jugend, ein bißchen romantisch, ein bißchen diaphan, die ich damit zubrachte, auf den Märchenprinzen zu warten und bei den mondänen Anlässen mein Kameenprofil zur Schau zu tragen. Und dann habe ich geheiratet, und ganz selbstverständlich geriet ich von der Vormundschaft der Eltern unter die meines Gatten, dann kamen die enttäuschten Hoffnungen, zeigte sich die Bedeutungslosigkeit meines Lebens als in der Kindheit gefangene Frau, ein Leben, das dem Bridge und den Empfängen geweiht war und in einer Untätigkeit verlief, derer ich mir nicht einmal bewußt war.
    Da lernte ich ihn kennen. Ich war noch jung und schön, ein graziles Reh, eine allzu einfache Beute.
    Erregung der Heimlichkeit, Adrenalinschub des Ehebruchs, Fieberrausch des verbotenen Sex: Ich hatte meinem Leben einen Kick gegeben, hatte meinen Prinzen gefunden, ich räkelte mich träge auf dem Sofa und setzte mich in Pose, ließ ihn meine langgliedrige, aparte Schönheit bewundern, endlich war ich, existierte ich, und unter seinem Blick wurde ich zur Göttin, wurde ich Venus.
    Natürlich konnte er nichts mit einem gefühlvollen kleinen Mädchen anfangen. Was für mich eine Verfehlung war, war für ihn nichts als ein flüchtiges Vergnügen, nichts als eine charmante Zerstreuung. Gleichgültigkeit ist grausamer als Haß; aus dem Nicht-Sein kam ich, ins Nicht-Sein kehrte ich zurück. Zu meinem trostlosen Mann,

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