Die letzte Delikatesse
stellte es sich meinem Genuß in den Weg, als ich ihn kostete. Abgelenkt durch diesen Luxus von Dekor und Zeremoniell, gelang es mir nicht, herauszufinden, ob es die üppigen Reize des Trankes waren oder jene der Umgebung, was da meine Zunge kitzelte. Um ehrlich zu sein, war ich noch nicht sehr empfänglich für den Charme des Weins; doch wohl wissend, daß jeder anständige Mann sich schuldig ist, gern und regelmäßig ein Gläschen zu trinken, gestand ich niemandem ein, daß mir die ganze Übung eine mehr als dürftige Befriedigung verschaffte, in der Hoffnung, das würde sich mit der Zeit von alleine ergeben. Inzwischen bin ich natürlich in die Gilde der Weinkenner eingeführt worden, ich habe seine kräftige Vollmundigkeit ergründet und sie den anderen offenbart, diese Vollmundigkeit, die auf der Zunge pulsiert und sie mit einem Taninbukett überschwemmt, das den Geschmack noch verstärkt. Doch damals, zu unreif, um mich mit ihm zu messen, trank ich ihn eher zögernd und wartete ungeduldig darauf, daß er mir endlich seine erwiesenen Qualitäten verrate. So hatte ich mich über die Gunst, die mir mein Großvater erwies, nicht so sehr wegen der in ihr enthaltenen alkoholischen Verheißungen gefreut, sondern vielmehr wegen des Vergnügens, in seiner Gesellschaft zu sein und eine unbekannte Gegend zu entdecken.
Schon der Landstrich gefiel mir, aber auch Gastons Keller, ganz ohne Schnickschnack, ein einfacher, großer, feuchter Keller mit einem gestampften Boden und Lehmbauwänden. Weder Gewölbe noch Gewölberippen; auch kein Schloß, um den Kunden zu empfangen, nur ein hübsches Burgunderhaus, blumengeschmückt aus Höflichkeit und unaufdringlich aus Bestimmung; einige gewöhnliche Stielgläser auf einem Faß beim Kellereingang. Dort begannen wir, kaum aus dem Auto gestiegen, mit der Degustation.
Und sie schwatzten und schwatzten. Im Laufe der Flaschen, die der Winzer eine nach der anderen entkorkte, tranken sie methodisch Glas um Glas, unter Mißachtung der Spucknäpfe, die im Raum aufgestellt waren für jene, die probieren wollten ohne Angst, sich zu betrinken, und begleiteten die wohl nur in ihrer Einbildung vorhandenen Erinnerungen, die sie aus purer Freude am Reden endlos herunterleierten, mit einer eindrücklichen Menge Alkohol. Ich war selber nicht mehr ganz munter, als Gaston, der mir bis jetzt nur zerstreut Beachtung geschenkt hatte, mich eingehender musterte und zu meinem Großvater sagte: »Der Kleine mag den Wein nicht besonders, stimmt’s?« Ich war zu beschwipst, um meine Unschuld zu beteuern. Und dann gefiel er mir auch, dieser Mann mit seiner Arbeitshose, seinen breiten schwarzen Hosenträgern, dem rot karierten Hemd von der gleichen kräftigen Farbe wie seine Nase und Backen, und ich hatte keine Lust, ihn anzulügen. Ich protestierte nicht.
Jeder Mann ist, wie auch immer, Herr auf seinem Schloß. Der ungehobeltste Bauer, der ungebildetste Winzer, der erbärmlichste Angestellte, der schäbigste Händler, der elendeste unter den Ausgestoßenen, die ohnehin schon durch die Maschen des sozialen Netzes gefallen sind, der einfachste Mensch also besitzt immer sein ureigenes Genie, das ihm zu seiner Glanzstunde verhilft. Das galt erst recht für Gaston, der kein Ausgestoßener war. Dieser einfache Landarbeiter, erfolgreicher Weinhändler, gewiß, jedoch vor allem ein auf seinem Stück Weinberg zurückgezogen lebender Bauer, wurde für mich in einem einzigen Augenblick zum Fürsten unter den Fürsten, denn in jeder Tätigkeit, ob edel oder verrufen, ist immer Platz für ein Aufblitzen von Allmacht.
»Solltest du ihm nicht das Leben beibringen, Albert?« fragte er. »Ist er etwa in Form für einen FMG, der Fratz?« Und mein Großvater lachte leise. »Siehst du, mein Lieber«, fuhr Gaston fort, angespornt durch die Aussicht, unmittelbar an meiner Erziehung mitzuwirken, »alles, was du heute getrunken hast, ist gute Ware, echte Ware. Doch der Winzer verkauft nicht alles, er behält auch etwas für sich, für den Durst, nicht für den Handel, wie du dir denken kannst« (in seinem gutmütigen Gesicht verzog sich der Mund von einem Ohr zum anderen zum Lächeln eines schlauen Fuchses). »Und so verwahrt er in einer Ecke den FMG, etwas ›für meine Gurgel‹ Und wenn er in Gesellschaft ist, in guter Gesellschaft natürlich, nun, dann holt er den FMG hervor.« Er riß sich mit einem Ruck von seinem schon ziemlich fortgeschrittenen Picheln los. »Komm, so komm doch«, wiederholte er ungeduldig, während ich
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