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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Barbery
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eine tiefere, eine stumme Lust aus; sie gibt sich hin, gibt sich voll und ganz hin, empfängt andächtig, und in der feierlichen Stille einer Kirche erreicht sie den Höhepunkt, fast verstohlen, denn sie braucht nur das eine: seine Gegenwart, seine Küsse. Sie ist glücklich.
    Ihre Kinder … nun, sie liebt sie, selbstverständlich. Sie hat die Freuden der Mutterschaft und der Erziehung erlebt; und auch, wie entsetzlich es ist, Kinder aufzuziehen, die ihr Vater nicht liebt, wie qualvoll, zusehen zu müssen, wie sie ihn langsam hassen lernen dafür, daß er sie verschmäht und ihre Mutter vernachlässigt … Aber vor allem fühlt sie sich schuldig, weil sie ihre Kinder weniger liebt als ihn, weil sie sie nicht hat beschützen können, beschützen wollen vor dem, den sie mit ihrer ganzen hellwachen Energie erwartete, ohne daß Platz geblieben wäre für etwas anderes, Platz für sie … Wenn ich weggegangen wäre, wenn auch ich ihn hätte hassen können, dann, ja dann hätte ich sie gerettet, dann hätte ich sie aus dem Kerker befreit, in den ich sie geworfen hatte, dem Kerker meiner Schicksalsergebenheit, dem Kerker meines wahnwitzigen Verlangens nach meinem eigenen Peiniger … Ich habe meine Kinder dazu erzogen, ihren Folterknecht zu lieben … Und ich weine heute blutige Tränen, weil er stirbt, weil er mich verläßt …
     
    Ich erinnere mich an unsere glanzvollen Auftritte, wir gingen Arm in Arm, ich lächelte in der lauen Abendluft, in meinem schwarzen Seidenkleid, ich war deine Frau, und alle drehten sich nach uns um, mit jenem Gemurmel, jenem bewundernden Getuschel dicht hinter unseren Schritten, das uns begleitete, uns wie eine leichte Brise folgte, immer und überall … Stirb nicht, stirb nicht … Ich liebe dich …

Der Toast
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Es war während eines Seminars, zu einer Zeit, da ich schon berühmt war und, einer Einladung der Communauté française von San Francisco folgend, bei einem französischen Journalisten Quartier genommen hatte, der im südwestlichen Stadtteil in der Nähe des Pazifiks lebte. Es war am ersten Morgen, ich hatte einen Bärenhunger, und meine Gastgeber diskutierten für meinen Geschmack allzulang darüber, wohin sie mich zum »Breakfast« meines Lebens führen sollten. Durch das offene Fenster entdeckte ich auf einem kleinen Gebäude, das nach einem besseren Fertighaus aussah, ein Schild mit der Aufschrift: John’s Ocean Beach Café, und ich beschloß, damit vorliebzunehmen.
    Schon der Eingang tat es mir an. Das am Türstock mit einer dünnen goldenen Schnur aufgehängte Schild »open« paßte vorzüglich zu dem blitzenden Kupferknauf und verlieh der Ankunft im Café ein gewisses Etwas an Gastlichkeit, das mich angenehm berührte. Aber als ich den Raum dann betrat, war ich hingerissen. So hatte ich mir Amerika erträumt, und wider alle Erwartungen, meiner Gewißheit zum Trotz, ich würde an Ort und Stelle all meine Klischeevorstellungen revidieren, war es genau so: Ein großer, rechteckiger Raum mit Holztischen und Sitzbänken, die mit rotem Skai überzogen waren; an den Wänden Fotografien von Schauspielern, ein Bild aus Vom Winde verweht mit Scarlett und Rhett auf dem Schiff, das sie nach New Orleans bringt; ein riesiger blankpolierter Schanktisch aus Holz, vollgestellt mit Butter, Ketchupflaschen und Ahornsirup-Karaffen. Eine blonde Kellnerin mit stark slawischem Akzent kam mit einer Kaffeekanne in der Hand auf uns zu; hinter der Bar war John, der Küchenchef, ein Typ mit den Allüren eines italienischen Mafioso, damit beschäftigt, mit verächtlich gekräuselten Lippen und blasiert teilnahmslosem Blick Hamburger zu braten. Das Innere strafte das Äußere Lügen: Hier drin war alles Patina, altmodisches Mobiliar und himmlische Bratgerüche. Oh John! Ich studierte die Speisekarte, entschied mich für »Scrambled Eggs with Sausage and John’s Special Potatoes« und sah, zusätzlich zu einer dampfenden Tasse ungenießbaren Kaffees, einen Teller vor mir landen, oder vielmehr eine Platte, die gehäuft voll war mit Rührei und gebratenen Knoblauchkartoffeln und garniert mit drei fetten, würzig duftenden Würstchen, derweil die hübsche Russin einen kleineren, mit Buttertoasten beladenen und einem Töpfchen voll Heidelbeerkonfitüre verzierten Teller neben das Ganze stellte. Man sagt, die Amerikaner seien dick, weil sie zu viel und schlecht essen. Das stimmt, aber man darf deswegen nicht ihr opulentes Frühstück anklagen. Ich neige im Gegenteil zur

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