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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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sich der Schiffsarzt, als suchte er nach den richtigen Worten. »Wie es sich dann herausstellte, war der Brief an Mr Gould gerichtet. Saint-Denis bedankte sich bei dem Jungen dafür, dass er ihm auf dem Krankenlager das Leben gerettet hatte. Er bat auch um Vergebung, weil er ihn anfangs verfolgte. Ich muss gestehen, dass ich ziemlich überrascht war. Kurz vor seinem Ableben stellte sich Saint-Denis noch die Frage, ob er seine Zeit auf Erden vergeudet habe. Mr Ariss versicherte ihm daraufhin, dass dies nicht der Fall sei, aber der Leutnant wollte davon nichts wissen. Vielleicht gelingt es Gould, etwas aus seinem Leben zu machen , sprach er. Ich konnte es nicht . Das waren seine letzten Worte.«
    Hayden konnte sein Erstaunen nicht unterdrücken. »Mir scheint, dass Saint-Denis ehrlicher mit sich selbst war, als wir es für möglich gehalten haben.«
    Griffiths’ Miene war undurchdringlich. »Seltsam«, sagte er, »ich konnte Saint-Denis von Anfang an nicht leiden, aber im Verlauf der Fahrt habe ich meine Einstellung geändert. Zweifellos hat er nach seiner schweren Krankheit sein Leben neu überdacht – und da wird ihm bewusst geworden sein, dass nicht alles so perfekt gelaufen war, wie er womöglich gedacht hatte. Er erfuhr, was Demut bedeutet, wie es einem Menschen in Gegenwart Gottes ergeht, wenn ich so sagen darf. Als er sich im Musketenfeuer schützend vor den jungen Gould stellte, hat er sich vermutlich zum ersten Mal im Beisein anderer zurückgenommen.« Griffiths stand einen Moment lang in Gedanken versunken da, schüttelte dann den Kopf und entfernte sich, ohne die Hand zum Hut zu führen oder sich zu verabschieden.
    Hayden stand an der Steuerbordreling und blickte hinüber zur umschatteten Küste Frankreichs – eine ferne Welt, von der ihn nur ein Wasserstreifen trennte –, und plötzlich erschien ihm das Donnern der Kanonen wie Salutschüsse, als sei soeben eine große Persönlichkeit aufgebahrt vorbeigezogen, die nun beklagt und geehrt würde.
    Wickham trat zu ihm und tippte an seinen Hut. »Mr Barthe sagt, wir schaffen es jetzt mit der Wende, Kapitän.«
    »Ja, ich bin sicher, dass er recht hat. Saint-Denis ist soeben verstorben.«
    Wickham schwieg zunächst und sagte dann leise: »Gott gebe seiner Seele Frieden. Das tut mir aufrichtig leid, Sir.«
    »Denken Sie, dass Mr Gould sich den Tod des Leutnants sehr zu Herzen nehmen wird? Waren die beiden befreundet?«
    »Ich glaube eher nicht, zumal Saint-Denis ihm erbarmungslos zusetzte, als er erfuhr, dass Gould jüdischer Abstammung ist. Aber der Leutnant muss einen Sinneswandel durchgemacht haben, nachdem Gould ihn wieder gesund gepflegt hatte. Ob sie Freunde wurden? Gould sieht stets das Gute im Menschen, denke ich. Er hat dem Leutnant gewiss vergeben, aber – nun, Kapitän, ich kann nicht für Mr Gould sprechen.«
    »Natürlich nicht, Mr Wickham.«
    In diesem Moment verstummten die Kanonen an Land, worauf auch die Geschütze an Bord der Themis schwiegen.
    Wann immer die schweren Achtzehnpfünder ihren Beitrag geleistet hatten, empfand Hayden die nachfolgende Stille als ausgesprochen tief. Eine vollkommene Ruhe lag dann über dem Schiff. Und derweil glitt die Fregatte, von der Nacht umhüllt, schweigend weiter hinaus ins offene Meer.
    Hayden spürte, dass sich eine tiefe Melancholie seiner bemächtigte, doch er fand den Grund dafür nicht. Vielleicht weil Saint-Denis’ Leben so fehlgeleitet gewesen war und dann ein abruptes Ende fand, ohne Aussicht auf Erlösung. Vielleicht war Hayden aber auch nur erleichtert, dass ihnen noch die Flucht aus Toulon gelungen war. Er wusste es selbst nicht, aber er fühlte, dass er vielleicht in Tränen ausgebrochen wäre, wenn er allein gewesen wäre.
    »In wenigen Stunden wird es hell, Kapitän«, stellte Wickham fest.
    »Nicht für alle von uns. Bitten Sie Mr Smosh, den Gottesdienst abzuhalten, wenn wir Saint-Denis’ sterbliche Hülle der See übergeben.«
    »Aye, Sir.« Wickham tippte an seinen Hut und wandte sich zum Gehen.
    »Und, Mr Wickham?«
    »Ja, Sir?«
    »Sie sind jetzt stellvertretender Zweiter Leutnant.«
    Wickham nickte und berührte erneut seinen Hut. »Ja, Sir. Danke, Sir«, fügte er leise hinzu.
    Einen Augenblick lang stand er unschlüssig da, als wolle er noch etwas sagen, doch dann ging er davon wie ein Mann in einem Rausch.

K APITEL DREIZEHN
    In den frühen Morgenstunden tauchte leewärts eine britische Fregatte auf, die offenbar im Sturm vom Kurs abgekommen war. Mit voller Fahrt hielt sie auf die

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