Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
Vom Netzwerk:
genügte. Wenn er dann wirklich einmal zu reden wagte, dann kam es flüsternd, stockend und anscheinend völlig ungewohnt, so als ob er gerade erst gelernt hatte, nicht nur Englisch zu sprechen, sondern überhaupt zu sprechen, und als ob er sich der sprachlichen Formen nicht sicher sei. Das ganze Verhalten des Mannes war so undurchsichtig, dass Hayden das Gefühl hatte, ihn überhaupt nicht zu kennen. Dennoch machte er durch das, was er tat, den Eindruck eines warmherzigen, ja sogar eines großzügigen Menschen. Bei den Männern hieß er »schleichender John«, obwohl sein Vorname Cyrus war. Jedes Mal wenn Hayden mit ihm sprach, schien er immer ein wenig zurückzuweichen, obwohl er in Wirklichkeit stehen blieb. Außerdem glich er beim Zuhören jemandem, der erwartete, ja sogar wusste , dass er schlechte Nachrichten erhalten würde.
    Die Stellung des »schleichenden John«, bei den anderen Seeleuten war nicht leicht einzuschätzen. Sein Platz bei den Backschaften war zusammen mit Chettle und den Maaten des Schiffszimmermanns, die ihn so zu akzeptieren schienen, wie er war. Die anderen älteren Seeleute duldeten ihn, was die jüngeren Männer zu einer ähnlichen Haltung ihm gegenüber veranlasste. Und obwohl sie ihn »schleichender John« hätten nennen können, so geschah es in seiner Gegenwart aber nie, dass sie sich über ihn lustig machten, ihn tyrannisierten oder ihm einen Streich spielten. Die Tatsache, dass er der Steward des Kapitäns war, verschaffte ihm natürlich eine gewisse Unangreifbarkeit, sogar bestimmte Vorrechte, aber selbst der Kapitän hielt ihn für ein etwas seltsames Wesen, fast eher für ein Tier als einen Menschen. Griffiths verglich ihn einmal mit einem guten Jagdhund, der herumschlich und gelegentlich etwas apportierte. Als Steward war er jedoch äußerst kompetent und praktisch unfehlbar, aber Hayden wünschte sich manchmal, dass er etwas mehr von einem Menschen und weniger von einem Hund hätte.
    »Rosseau weiß, dass ich zum Dinner nicht da bin?«
    Wieder nickte der Mann nur. Dann wartete er darauf, dass Hayden ihn entließ, und trottete davon.
    Während einiger kostbarer Augenblicke saß Hayden in seiner Kajüte, und das letzte Tageslicht schwand schnell vom westlichen Himmel. Der Übergang vom Azurblau des Tages über die Farben des Topas und des Saphirs, dann über Indigo, Violett und Purpur bis schließlich zum Tintenschwarz war ein Geheimnis, das er jedes Mal aufs Neue zu lüften versuchte, ohne dabei zu ermüden. Wo begann die eine Farbe, und wo endete die andere? Wie konnten sie so nahtlos ineinander übergehen und sich so unmerklich wandeln, dass das Auge niemals den richtigen Moment ihrer Verwandlung erfassen konnte?
    Ein respektvolles Klopfen unterbrach Haydens Betrachtung der Farbpalette der Natur. Er rief dem Anklopfenden zu, er solle die Tür öffnen.
    »Dr. Worthing wünscht Sie zu sprechen, Sir«, sagte der Seesoldat.
    »Bitten Sie ihn herein.« Das war es dann wohl mit der dichterischen Anwandlung, dachte Hayden und stieß leise eine Verwünschung aus.
    Der beleidigte Gesichtsausdruck, den Worthing gewöhnlich zur Schau trug, war jetzt sogar noch verbitterter als üblich und ließ darauf schließen, dass ihm dieses Mal etwas weitaus Schlimmeres widerfahren war. Der Mann konnte die Lippen so zusammenpressen, dass sie nur noch blutleere, dünne Linien zu sein schienen.
    »Dr. Worthing, ich hoffe, ich kann Ihnen zu Diensten sein?« In Wirklichkeit hoffte Hayden, der Mann würde seine Beschwerde vorbringen, so geringfügig sie auch sein mochte, und dann so schnell wie möglich wieder gehen.
    »Mr Hayden, ich hoffe sehr, Sir, dass Sie bei dieser Missachtung der Kirche und der Krone nicht beteiligt waren.«
    »Und von welcher Missachtung sprechen wir, Dr. Worthing?«, fragte Hayden arglos, wobei er nach seinem eigenen Eindruck etwas zu sehr wie Smosh klang.
    »Es ist Ihnen doch sicher bewusst, dass Sie unter Ihren Offizieren einen Juden haben ...«
    »Nein, das ist mir nicht bewusst. Von wem sprechen wir?«
    »Von Mr Gould, Sir, wie Sie doch genau wissen.«
    »Mr Goulds Mutter ist Christin aus christlicher Familie, und Gould geht schon sein ganzes Leben lang zur Kirche.«
    »Sein Vater ist Jude. Ich habe es aus sicherer Quelle.«
    »Und aus welcher Quelle haben Sie das?«
    Worthing wollte jedoch diese Frage nicht beantworten. Stattdessen sagte er: »Leugnen Sie es etwa, Mr Hayden?«
    »Nein, das tue ich nicht. Aber die Religionszugehörigkeit von Goulds Vater ist ohne Bedeutung.

Weitere Kostenlose Bücher