Die letzte Eskorte: Roman
haben«, sagte er und nickte in Richtung des Leutnants der Seesoldaten. »Aber Mr Hawthornes Männer hatten nicht so viel Glück.«
Hawthorne erhob ein wenig umständlich sein Glas, sodass etwas Wein über den Rand schwappte und über Hawthornes Finger lief. »Auf die siegreichen Toten«, sprach er mit viel Gefühl. An diesem Abend betäubte er seine Empfindungen mit Wein, und das verübelte ihm niemand. Es kam nicht selten vor, dass der einzige Überlebende einer abgeschlachteten Geschützbedienung mehr empfand als nur den Verlust der Kameraden. Manch einer verspürte ein Gefühl von Scham, dass ausgerechnet er, der nicht mehr wert war als alle anderen, überlebt hatte.
Die Männer erhoben nun ebenfalls ihre Gläser und sprachen Hawthornes Toast nach.
Doch unmittelbar danach senkte sich erneut das unangenehme Schweigen herab – das unsichtbare Seil wurde wieder gespannt und knarrte wie eine rostige Türangel.
»Ich frage mich«, ließ sich Worthing vernehmen und scharrte die Kartoffelschalen auf seinem Teller zu einem kleinen Haufen zusammen, »ob wir nicht größere Verluste erlitten hätten, wenn wir Kapitän Pool zu Hilfe geeilt wären.« Nun suchte er Haydens Blick, und die wehmütige Überheblichkeit, die er für gewöhnlich an den Tag legte, war noch unerträglicher als sonst.
»Wir sind Pool doch zu Hilfe geeilt«, stellte Barthe knapp klar.
Der Geistliche verzog das Gesicht und ließ ein Achselzucken folgen. »Bei unserer ersten Begegnung feuerten wir ein paar Kanonen auf das große Heck des französischen Schiffs ab, aber bei unserem zweiten Versuch gelang es uns nicht, den Vierundsiebziger entscheidend zu stellen, der, wie man mir sagte, luvwärts vom armen Pool lag. Wir segelten weiter, griffen jedoch kein feindliches Schiff mehr an, obwohl drei zur Auswahl standen.«
»Sir«, hob Barthe an und scherte sich nicht um gute Manieren, »es ist offenkundig, dass Sie von solchen Dingen nichts verstehen und ...«
Worthing schaute ruckartig zu Barthe auf und fiel ihm ins Wort. »Eins habe ich sehr wohl verstanden. Kapitän Pool hat Mr Haydens Mut auf die Probe gestellt, und Mr Hayden ist ihm nicht zu Hilfe geeilt, als der Kapitän in Bedrängnis war.«
Wenn der Mann nicht Kleriker der Kirche Englands gewesen wäre, hätte Hayden ihn aufgefordert, mit ihm vor die Tür zu gehen.
»Dr. Worthing«, sagte Hayden mit vor Zorn bebender Stimme. »Ich ließ zunächst auf die Fregatte feuern, die unseren Vierundsiebziger unter Beschuss genommen hatte und dann Pool auf der Backbordseite angriff, wo Pool die Stückpforten nicht geöffnet hatte. Danach bestrich ich den französischen Vierundsiebziger, brachte mein Schiff längsseits und kam zurück, mit der Absicht, die französische Fregatte anzugreifen, die Pools Deck schweren Schaden zufügte. Die Krängung seines Schiffes und die wogende See machten sein Deck verwundbar. Die Fregatte explodierte, vermutlich aufgrund unserer ersten Kanonade. Ich hielt es nicht für nötig, den französischen Vierundsiebziger anzugreifen, da ich der Ansicht war, Pool sei dieser Aufgabe sehr wohl gewachsen. Zumal sich der französische Kapitän, obwohl er den Windvorteil hatte, nicht traute, die unteren Stückpforten zu öffnen, da sein Schiff zu stark krängte. Danach eilte ich Kapitän Bradley zu Hilfe, der sich einer Fregatte mit größerer Feuerkraft entgegenstellte. Kein Kapitän mit gesundem Menschenverstand hätte anders entschieden.«
»Eine hübsch vorbereitete Rede, Hayden«, bemerkte Worthing. »Ich hoffe, der Erste Marineoffizier in Gibraltar lässt sich davon überzeugen. Pool könnte ihm natürlich eine andere Version erzählen. Bradley kann dazu nichts mehr beitragen, da er aus dem Leben schied – Ihre Hilfe kam da wohl etwas zu spät.«
Hayden umklammerte sein Messer und seine Gabel wie ein Kind. Die Gesichter der anderen Männer bei Tisch waren blass vor Zorn. Hayden befürchtete schon, die anderen könnten sich mit ihren Messern auf den Geistlichen stürzen, da es unerhört war, so mit einem Kapitän an Bord seines Schiffes zu sprechen.
In diesem Moment nahm Hayden wahr, dass ein Anflug von stiller Freude über Worthings teigiges Gesicht huschte.
Hayden lockerte den Griff am Besteck und zwang sich zur Ruhe, als er sagte: »Nun, Doktor, es steht Ihnen – wie auch Kapitän Pool und jedem anderen – frei, den Bericht in Gibraltar abzuliefern, der Ihnen gefällt. Ich hingegen bereue keine meiner Entscheidungen.« Hayden wandte sich Saint-Denis zu. Da dieser
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