Die letzte Eskorte: Roman
hatte ohnehin schon zu wenig Offiziere, und auch wenn er auf einen unbeliebten Mann wie Saint-Denis verzichten musste, bedeutete das nur, dass Wickham und Archer umso mehr würden leisten müssen – von ihm selbst einmal abgesehen. »Nun, Mr Archer, meinen Glückwunsch. Wie es scheint, sind Sie von nun an stellvertretender Erster Leutnant. Schoten an Klüver und Fock wegfieren und klar zur Wende. Bringen Sie uns sicher durch den Konvoi. Wir werden den Platz der Cloud einnehmen.«
»Aye, Sir.« Archer wandte sich an Mr Barthe und gab die Befehle weiter.
Gleichzeitig sicherte sich Hayden Wickhams Aufmerksamkeit. »Mr Wickham, behalten Sie den Nordosten im Blick.«
Der junge Mann nickte. »Cole hat eine Fregatte gesehen, wie die Männer berichten. Stimmt das, Sir?«
»Ich hatte gehofft, diese Frage würden Sie mir beantworten.«
Der Midshipman trat an die Reling, stützte sich ab und suchte mit seinem Glas den nördlichen Horizont ab, doch schon nach kurzer Zeit ließ er das Fernrohr wieder sinken. Fast verlegen schaute er zu Hayden hinüber. »Die Linsen sind vollkommen beschlagen, Sir – von innen.«
»Wann geschieht das nicht?«, antwortete Hayden. »Sie werden sich mit bloßem Auge begnügen müssen.«
Inzwischen hatten die Männer in recht passabler Zeit mit den Brassen die Rahsegel an Groß- und Kreuzmast herumgeholt, was Hayden Anlass zu der Hoffnung gab, eines Tages eine ausgezeichnete Crew zu haben – genauer gesagt ein anderer Kommandant der Themis .
Der trübe Novembertag neigte sich dem Ende zu, während sie sich ihre Schneise durch die Konvoischiffe hindurch suchten. Hayden gab sich schon mit dem bisschen Licht zufrieden, das durch die schnell ziehenden Wolken fiel.
Die Themis nahm ihre neue Position leewärts des Konvois ein, ganz in der Nähe des Frachtschiffes, das die Nachhut bildete. Die Syren war nicht allzu weit entfernt – Hayden glaubte sogar, den stellvertretenden Kapitän erkennen zu können. Cole stand bei den Wanten des Kreuzmarssegels.
»Nichts von der Fregatte zu sehen?«, fragte Hayden Wickham.
»Nichts, Sir.«
»Dann werde ich kurz unter Deck gehen.« Recht durchgefroren begab Hayden sich in seine Kajüte, die zwar auch nicht warm, dafür aber trocken war. Er schickte seinen Diener los, Kaffee zu holen, und blickte dann einen Moment lang auf einen Stapel Papiere, dem er noch seine Aufmerksamkeit schuldete – sie lagen allesamt in einer kleinen, zweckdienlichen Schachtel aus Eichenholz ohne Deckel. Daraufhin nahm er auf der Bank vor der Heckgalerie Platz und stellte die Füße weit auseinander, um das Rollen des Schiffes auszugleichen.
Mit jedem Tag schien seine Situation an Bord schlimmer zu werden. Fregatten nach Lee, die mit ziemlicher Gewissheit keine Briten waren, sondern aufgrund der Nähe zur französischen Küste dem Feind gehörten. Und wenn seine Crew nun bald ebenso viele Fieberkranke aufwies wie die Agnus , wäre sein Schiff in einem Gefecht unterlegen und daher gezwungen, zu Täuschungsmanövern zu greifen. Doch das würde sich nur dann als ratsam erweisen, wenn die Franzosen über ungefähr dieselbe Anzahl an Schiffen verfügten.
McIntoshs als Kriegsschiffe getarnte Frachter könnten ihnen in dieser Situation von Vorteil sein. Doch Hayden befürchtete, dass dem wachsamen Feind bei klarer Sicht die kleine Maskerade mit dem Kriegsschiff auffallen würde – blieb zu hoffen, dass der Sturm noch etwas anhielt.
Der Diener brachte den Kaffee, und kurz darauf trat zu Haydens Überraschung auch der Schiffsarzt in die Kajüte.
Griffiths war nicht nur in jungen Jahren ergraut, sondern wirkte von der ganzen Erscheinung her frühzeitig gealtert. An diesem Tag sah er noch betagter aus als sonst. Er verströmte eine ungesunde Aura, ganz so, als habe die Nähe zu den Kranken und Verletzten an seinen Kräften gezehrt. Sein Gesicht war fahl, die Haut trocken und schlaff. Die Augen waren rot gerändert. Die leicht nach vorn gebeugte Haltung zeugte nicht gerade von Lebenskraft, und als er nun mit einer Hand die Tür schloss und sich mit der anderen Hand den Mund mit einem in Essig getränkten Taschentuch zuhielt, sah er aus wie ein Abbild der Mutlosigkeit, wenn nicht gar der äußersten Verzweiflung.
Hayden war im Begriff, nach der Kaffeetasse zu greifen, und hielt inne. »Dr. Griffiths, ich fürchte, dass Sie unter großer Belastung stehen. Darf ich Ihnen etwas Kaffee anbieten?«
Griffiths blieb an der Tür stehen und gab Hayden mit einer Geste der Abwehr zu verstehen,
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