Die letzte Eskorte: Roman
Krankheiten genommen hat. Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Mr Barthe: Unsere Lage ist verzweifelt.«
Der Master schien einen Moment lang nachzudenken und nickte schließlich. »Was ist mit Dryden? Kann ich ihn zurückhaben?«
»Wer benötigt ihn dringender? Sie selbst oder Mr Franks?«
Der Master tat sich schwer damit, es zuzugeben, sagte dann aber: »Mr Franks.«
»Das war auch meine Einschätzung. Ich werde Gould fragen, ob er bereit ist, Mr Ariss zu helfen. Ich hoffe bloß, dass er sich nicht weigert.«
»Er wird nicht Nein sagen, Kapitän Hayden. Er ist so eifrig bemüht, seinen Dienst zu versehen, dass er sich sogar in ein brennendes Pulvermagazin wagen würde, wenn Sie es von ihm verlangten.« Barthe wandte sich zum Gehen, fragte dann aber noch: »Wäre das dann alles, Sir?«
»Halten Sie sich von den Kranken fern, Mr Barthe. Vom Rang her bin ich zwar Master and Commander, möchte diese Position aber nicht in Wirklichkeit ausfüllen.«
»Ich werde mein Bestes geben, Sir.«
»Gut. Schicken Sie Gould zu mir. Ich glaube, ich habe ihn draußen kommen hören.«
Kurz darauf trat der Junge ein, grüßte vorschriftsmäßig und wartete geduldig, was der Kapitän ihm zu sagen hatte.
»Mr Gould, ich habe eine schwierige, vielleicht sogar gefährliche Position für Sie.«
Der Junge nickte abwartend.
»Wie es scheint, hat sich Dr. Griffiths die Influenza zugezogen, und nun braucht Mr Ariss einen Gehilfen. Die Kranken müssen versorgt werden, und dafür brauchen wir noch jemanden mit kühlem Kopf und ruhigen Händen.«
Der Junge schien einen Moment lang verdutzt zu sein. »Sie möchten, dass ich der Gehilfe des Schiffsarztes werde?«
»Sie werden hauptsächlich für die Mahlzeiten verantwortlich sein, aber natürlich müssen Sie sich auch um die Kranken kümmern. Das ist nicht ohne Risiken, wie Sie sich vorstellen können – ein Mann starb an Bord unseres Schiffes, weitere auf der Agnus , aber die Arbeit muss getan werden. Und Sie haben den Vorteil, dass Sie schon einmal Ihre Nase in die Lehrbücher Ihrer Brüder gesteckt haben.«
»Wahrscheinlich weiß ich genauso wenig über Medizin Bescheid wie der nächstbeste Matrose, Sir, aber wenn Sie mich brauchen, stehe ich Ihnen zur Verfügung.«
»Dann melden Sie sich unverzüglich bei Mr Ariss. Mr Barthe weiß inzwischen, dass er ohne Sie auskommen muss – vorerst.«
»Ja, Sir.« Der Junge zögerte nur kurz, ehe er die Kajüte verließ. Hayden hoffte, dass er Gould nicht geradewegs in den Tod schickte – eine Hoffnung, die häufiger in ihm aufstieg, als ihm lieb war.
Es gab jedoch noch andere dringliche Angelegenheiten, die Haydens Aufmerksamkeit bedurften. Die kurz im Nebel gesichteten und noch nicht identifizierten Schiffe waren ihnen sehr wahrscheinlich nicht freundlich gesinnt, und selbst wenn sie Haydens Konvoi in den Dunstschleiern für ein Geschwader gehalten hatten, waren sie vermutlich nicht geflohen. Nein, die Fregatten lauerten irgendwo dort draußen, das spürte er. Und wahrscheinlich waren sie verantwortlich für das Verschwinden des Frachtschiffes.
Jetzt stand die Frage im Raum, wie er mit diesen Fregatten verfahren sollte. Nachdenklich schaute er aus den Fenstern der Heckgalerie auf die dunkle, aufgewühlte See. Im abnehmenden Tageslicht wirkte das Meer noch unheilvoller und bedrohlicher, aber dieser Anblick war Hayden vertraut. Tatsächlich glaubte er, der Wind habe etwas nachgelassen. Mit etwas Glück würde sich der Sturm in ein paar Stunden verausgabt haben.
Schließlich fasste Hayden einen Entschluss, ging zur Tür und wandte sich an den Seesoldaten. »Schicken Sie Mr Archer und Mr Wickham zu mir.«
»Als Kapitän Pool einen ähnlichen Plan vorschlug, Mr Hayden, waren Sie dagegen. Und jetzt verkaufen Sie das Ganze als eine glänzende Strategie, da es das Ergebnis Ihrer eigenen, reiflichen Überlegung sein soll?«
Ein mürrischer Kapitän Cole stand im Regen an der Reling, nicht mehr als eine dunkle, drohende Silhouette. Hayden hatte ihn rufen lassen, worauf Cole nur äußerst widerwillig an Bord der Themis gekommen war. Er weigerte sich, unter Deck zu gehen, und zog der trockenen Kajüte das regennasse Quarterdeck vor. Die Angst vor Ansteckung befiel nicht nur die einfachen Seeleute.
Obwohl der Wind beträchtlich nachgelassen hatte, wogte die See noch stark, und die Wolken schütteten ohne Unterlass ihre Fracht auf das wild schlingernde Schiff. Ein undeutlicher, blasser Fleck keine sechzig Fuß an Backbord verriet das Beiboot der Syren
Weitere Kostenlose Bücher