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Die letzte Flucht

Die letzte Flucht

Titel: Die letzte Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Nimmt er auch eine Weiterbildung auf Hawaii? Gerne mit Gattin und Kindern. Natürlich. Wir sind eine großzügige Firma. Höchstes Niveau. Dann: Nimmt er auch schon mal einen Scheck? Lässt er sich auf eine Anwendungsbeobachtung ein? Wir zeigen ihm unsere Möglichkeiten. Wir erstellen ein Verordnerprofil.«
    »Was ist das?«
    »Von Marketing verstehen Sie nichts, Henry. Nun, das ist auch eine Wissenschaft für sich. Oder eine Kunst, wie Sie wollen. Also wir haben verschiedene Profile, nach denen wir die Verordner sortieren. Jeder unserer Pharmareferenten beurteilt den Verordner nach diesen Kategorien. Wir unterscheiden zwischen Vorteilsergreifern und Vorteilssuchern. Die Vorteilssucher sind zielstrebig und voller Energie. Mit ihnen werden wir schneller einig. Die verstehen bald, wie es läuft. Dem Vorteilsergreifer müssen wir eine Gelegenheit bieten, es ihm leichtmachen, zuzugreifen. Verstehen sie, Henry.«
    »Ich verstehe gut.«
    »Dann haben wir den Krisenkunden, das ist ein Verordner, der sich in einer ausweglos erscheinenden Situation befindet. Vielleicht hat er sich verspekuliert. Oder es gibt eine teure Scheidung. Dem Krisenkunden droht ein Statusverlust. Er kann seinen bisherigen Lebensstil nicht mehr aufrechterhalten, und er ist nicht willens, seinen Lebensstil seinen neuen finanziellen Gegebenheiten anzupassen. Da können wir helfen – wenn er sein Verordnungsverhalten uns gegenüber freundlicher gestaltet. Dann haben wir noch den Unauffälligen mit erhöhtem Geldbedarf. Gibt es auch häufig. Jemand, der bestimmte Statussymbole benötigt oder ein Faible für Luxusartikel hat, kurzum einen höheren Lebensstil pflegt, als es seine Praxis nun mal hergibt. Wir weisen unsere Referenten an, genau zu prüfen, ob die Verordnereinen Hang zu hochwertigen Fahrzeugen pflegen oder ob sie ausgefallene Bauvorhaben mögen. Manche haben Geld bei Bauherrenmodellen verloren. Sie haben genau zu prüfen, ob …«
    »Und alle Ärzte passen in diese Muster?«
    »Sie sind nicht oft beim Arzt, Henry, nicht wahr? Es gibt noch eine andere Kategorie. Wir nennen sie die Heiler. Schwierige Verordner. Wir mögen sie nicht.«
    »Heiler?«
    »Das sind Verordner, deren Verordnungsverhalten sich nicht durch in Aussicht gestellte Vorteile beeinflussen lässt. Sie nehmen Musterproben. Immerhin. Damit haben wir unsere neuen Produkte schon mal in ihrer Praxis. Aber sie verordnen, was sie gerade wollen.«
    Assmuss schüttelte den Kopf.
    »Nach eigenem Gutdünken!«
    »Alle Untersuchungen«, fuhr er fort, »zeigen, dass jeder Arzt sich selbst für nicht beeinflussbar hält, dass er aber genau das von seinen Kollegen annimmt. Und wenn man selbst nicht beeinflussbar ist, dann kann man doch auch etwas annehmen, oder?«
    »Welche Tricks haben Sie sonst auf Lager?«
    »Tricks, Henry? Tricks? Das Wort gefällt mir nicht. Sie reden abwertend über meinen Beruf. Sie sitzen mir gegenüber mit einem Revolver, ich sitze hier gefesselt an ein Bett. Wir sind ein ungleiches Paar, Henry. Sie haben die Macht, das ist schon klar. Aber ich mag nicht, wie Sie über meinen Beruf reden. Das ist mein Leben. Damit verbringe ich meine Zeit. Das ist …«
    »Ok. Wie nennen Sie es?«
    »Wie ich es nennen würde? Ich würde fragen: Herr Dr. Assmuss, welche Marketinginstrumente bringen Sie sonst noch zum Einsatz?«
    »Ok, Herr Dr. Assmuss: Welche Marketinginstrumente bringen Sie sonst noch zum Einsatz?«
    »Mmh. Na gut. Wir müssen unterscheiden zwischen den Standardmarketinginstrumenten, die in der gesamten Branche mehr oder weniger gleich eingesetzt werden, und den neueren Methoden, die ich zuerst bei Peterson & Peterson mit großem Erfolg platziert habe und die nun von den verehrten Wettbewerbern nachgeahmt werden. Wir verkaufen Hoffnung – das ist das neue Konzept. Sie erinnern sich? Das wollten Sie vor ein paar Tagen doch wissen. Bisher reden wir nur über alltäglichen Kram. Wir könnten schneller vorankommen.«
    Henry lachte.

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43. Anrufe
    Am Morgen unterschrieb Dengler einen kurzen Vertrag, mit dem seine Tätigkeit als Anwaltsgehilfe wieder endete. Als er die Kanzlei Lehmann und Partner verließ, erreichte ihn ein Anruf von der Mordkommission. Die Hauptkommissarin wolle ihn sprechen. Ob es jetzt möglich sei?
    »Ja«, sagte Dengler.
    »Gut, wo sind Sie? Wir schicken einen Streifenwagen.«
    ***
    Bernhard Voss hatte die Nacht im Freien verbracht. Seine Kleider stanken. Er fühlte sich schmutzig und leer. Er wusste immer noch nicht, wo er war. Als es hell

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