Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
oder tot. Was für ein Schlamassel. Prost.« Er trank noch mehr Whiskey.
»Sie können wirklich ein kaltherziger Bastard sein, Nathan.«
»Meinen Sie? Vielleicht werde ich auch bloß müde. Schauen
Sie sich doch nur diese Scheiß-Karte an.« Er schnippte mit den Fingern.
Das große Wanddisplay fror bei hochgerechneten achthundert Metern ein. Die Karte war größtenteils blau, wobei die Umrisse der alten Kontinente eine hellere Färbung aufwiesen - neue Kontinentalschelfe, übersät von untergegangenen Flusstälern und Wüsten, Wäldern und Städten. Die Anden bildeten ein gespenstisches Filigranmuster an der Westküste Südamerikas.
»Schauen Sie sich an, was noch übrig ist«, brummte Lammockson. »In Nordamerika überleben die Staaten in den Rockies, von New Mexico aufwärts über Colorado, Utah und Oregon. In Afrika ist eine riesige Scheibe von Südwesten nach Nordosten weggeschnitten worden, durch Tansania und Kenia bis rauf nach Äthiopien, wobei Südafrika und die östlichen Staaten ausgespart bleiben. In Asien sind der Himalaja, die Mongolei und all die Staaten, die auf ›stan‹ enden, ein einziges Kriegsgebiet, das Leben verschlingt wie ein Fleischwolf. Abgesehen davon gibt es nichts außer vereinzelten Berggipfeln und hoch gelegenen Flecken in Großbritannien, Australien, Indien und Indonesien. Europa ist bis auf die Alpen weitgehend verschwunden. Russland ebenso, sogar der Ural.«
»Berggipfel und hoch gelegene Flecken«, wiederholte Lily.
»Wir bekommen immer noch Botschaften. Funkfeuer an hoch gelegenen Orten. Zum Teufel, ich hatte von den meisten dieser Orte noch nie gehört, bevor sie miteinander übers Weltmeer hinweg Funkverkehr aufgenommen haben.« Er warf ihr einen Blick zu. »Ich muss Ihnen was sagen. Die höchstgelegene Stadt in Spanien heißt Avila. Und wissen Sie was?«
»Sagen Sie’s mir.«
»Wir haben von dort eine Botschaft bekommen. Als Madrid evakuiert wurde, ist die spanische Regierung zusammengebrochen, es gab einen letzten Machtkampf. Und die Fraktion, die den Sieg davontrug, waren - die ›Väter der Auserwählten‹.«
»Sie machen Witze.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie haben um Hilfe gebeten. Sie hatten gehört, dass ich Ihnen und den anderen Zuflucht gewährt habe. Vielleicht hielten sie das für eine ausreichende Verbindung.« Er lachte bösartig. »Sie haben euch um Vergebung gebeten, Sie und Piers und die anderen.«
Lily war erstaunt. »Was wollen sie?«
Er zuckte mit den Achseln. »Das Übliche. Einen Ort auf hoch gelegenem Gelände. Ich bezweifle ohnehin, dass wir ihnen helfen könnten. Aber es ist Ihr Baby. Was würden Sie sagen?«
Sie überlegte. »Die haben mich jahrelang in einem Loch im Boden festgehalten. Sie haben einen meiner Freunde getötet, eine Freundin vergewaltigt und uns im Glauben zurückgelassen, dass wir sterben würden. Hol sie der Teufel!«
»Hol sie der Teufel!« Er hob sein Glas und trank darauf. Dann sah er erneut auf die Karte. »Es wird noch eine Weile dauern, bis uns das Land gänzlich ausgeht. Lhasa in Tibet liegt vier Kilometer hoch. La Paz ebenfalls … Ich glaube aber, wir erleben gerade die Schlussphase der Kriege. In jeder der großen verbliebenen Hochlandzonen - Amerika, Afrika, Himalaja - wird man bald sehen, wie einige wenige starke Regierungen oder Individuen die Kontrolle übernehmen. Es wird eine gewisse Form von Ordnung geben. Vielleicht hört
dann auch das Töten auf. Außerdem dürfte bald endgültig Schluss sein mit den Fressorgien der Konzerne. Der Zusammenbruch ist so umfassend, dass sie nicht mehr viel länger so weitermachen können. Die Überlebenden unter den Reichen werden diejenigen sein, die klug genug waren, ihren Reichtum in Macht und Sicherheit zu konvertieren. Manche behaupten, dieser globale Kollaps sei etwas Gutes - zumindest auf lange Sicht. Vielleicht war unsere Zivilisation zu kompliziert, wie ein ausgewachsener Wald, in dem jedes Fitzelchen Boden bewachsen ist und sämtliche umwandelbaren Stoffe zu Biomasse geworden sind, in dem die Bäume, Würmer und Käfer in einem komplexen Netz gegenseitiger Abhängigkeiten gefangen sind und alles von allem anderen lebt. Maximale Effizienz, aber minimale Resilienz. Und wenn dann der Schock kommt, das Feuer, das Erdbeben oder die Dürre, gibt es ein großes Sterben. Doch was überlebt, ist stärker, anpassungsfähiger und robust.«
»Hm. Ich weiß nicht recht, ob das eine treffende Analogie ist, Nathan. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie ein
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