Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
großes Sterben einfach so hinnehmen würden. Ich wette, Sie denken voraus. Sie denken doch immer voraus.«
Er sah ihr in die Augen. »Nun ja, ich habe immer einen Plan B. Ich schätze, so viel wissen Sie inzwischen über mich. Und wenn ich keine Pläne habe, dann doch wenigstens Optionen. Zum Beispiel ist es mir gelungen, den Norwegern den Svalbard-Bunker abzukaufen, bevor die dortige Regierung zusammengebrochen ist.«
»Was für einen Bunker?«
»So eine Post-9/11-wenn-die-Apokalypse-kommt-Sache. Ein weltweites Projekt zur Einrichtung einer Samenbank,
drei Millionen Exemplare, hundert Meter tief in einem Berg auf einer norwegischen Insel. Das Konzept war intelligent: Selbst wenn der Strom ausfiel, würde der Inhalt vom Permafrost gekühlt werden. Aber sie haben die Flut nicht vorhergesehen.«
»Und wo sind die Samen jetzt?«
Er grinste und zeigte nach unten. »Im Laderaum.«
»Auf dem Schiff ?«
»Hübsche Note, finden Sie nicht?«
»Okay, ich glaub’s Ihnen. Wenn die Flut zurückgeht, spielt Nathan Lammockson Johnny Appleseed und forstet die Welt wieder auf. Was noch?«
»Rassenspezifische Waffen.«
Das schockierte sie. »Du lieber Himmel, Nathan.«
Er warf einen Blick zu den Arbeiterhütten hinaus. »Ein Expertenteam arbeitet für mich schon seit mehreren Jahren an dem Problem. Eine Anwendung der Pharmakogenomik, wie sie es nennen. Wenn es hart auf hart kommt, will ich sicher sein, dass ich und die Meinen überleben.«
»Sie sind wirklich verrückt.«
»Das sagt jeder«, erwiderte er ungerührt. »Aber ihr seid mir alle von Southend-on-Sea zu diesem verdammten Ort hier gefolgt, und niemand in meiner näheren Umgebung hat auch nur einen Tag Hunger gelitten. Wer ist also verrückt? Ich bete, dass ich solche Waffen nicht einsetzen muss. Aber ich weiß, ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich mich nicht auf das vorbereiten würde, was ich voraussehen kann. Ich erwarte selbstverständlich, dass Sie darüber Schweigen bewahren.«
In diesem Moment kam Piers auf sie zu. Mit seinem
schmutzigen Arbeitsoverall wirkte er in diesem glanzvollen Salon so deplatziert wie ein Landstreicher in einem Palast. »Ärger in La Oroya«, sagte er.
»Scheiße«, entgegnete Lammockson. »Wir brauchen diese Schmelzhütte.«
»Ein Hubschrauber wartet.« Piers sah Lily an. »Komm lieber mit.«
»Warum? Oh. Hat Ollantay was damit zu tun?«
Piers schwieg.
»Ich gehe Amanda suchen«, sagte Lily und drängte sich durch die Menge.
65
Die Schmelzerei beherrschte das Hochtal von La Oroya. Die Berge um das Tal formten eine natürliche Schüssel, die verhinderte, dass der Wind die verschmutzte Luft wegblies, so dass ein dicker, schon aus mehreren Kilometern Entfernung sichtbarer Smog über der Stadt hing. Und als der Hubschrauber näher kam, sahen sie die weißen Rauchsäulen, die von den Schloten in die klare Luft emporstiegen. Das Land selbst war in ein schmutziges Industriegelände verwandelt worden, zernarbt von Müllhalden und Fahrzeugspuren.
Ein selbstbewusster Ollantay empfing Piers auf dem Boden. Ollantay hatte seine Privatarmee dabei, als Inkas kostümierte Schläger mit Gewehren; er schenkte Piers’ Trupp von AxysCorp-Soldaten mit ihren furchteinflößenden Waffen keinerlei Beachtung. Und hinter Ollantay saßen die Arbeiter, die die Schmelzerei blockiert hatten, in einer verdrossenen Reihe nach der anderen auf dem Boden. Ollantay sah fabelhaft aus, fand Lily. Er war jetzt Mitte dreißig, ein Mann in der Blüte seines Lebens. Er trug die Tracht eines Inka-Edelmannes: Federn im zurückgebundenen Haar, einen riesigen, kunstvollen Goldstecker in jedem durchbohrten Ohr und einen Kittel aus gefärbter Vikunjawolle, der mit einem heraldischen Symbol bestickt war.
Und Kristie war an seiner Seite. Sie trug ebenfalls Kleidung
aus Vikunjawolle und hielt ihr Kind in den Armen. Manco, ihr bald vier Jahre altes Quechua-Halbblut, war fast schon zu groß dafür, getragen zu werden. Trotz der sehnsuchtsvollen Blicke, die Amanda ihr zuwarf, sah Kristie aus, als gehörte sie hierher, an die Seite ihres Mannes.
Piers ignorierte Ollantay und wahrte ganz offensichtlich Distanz zu Kristie. Er ging zu den auf dem Boden sitzenden Arbeitern und ihren Familien hinüber, stemmte die Hände in die Hüften und sprach in klarem, schneidigem Englisch. Ein paar AxysCorp-Soldaten traten vor, um für ihn auf Spanisch und Quechua zu dolmetschen.
»Nun passt mal auf - das ist alles überflüssig und völlig nutzlos. Ich weiß, die Lage ist schwierig
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