Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
sollen, die er mir ausgesucht hat, damit sie diese Enkelkinder für ihn bekommt. Nun, ich war nicht zu Diensten.«
»Ich kann nicht glauben, dass Sie vorhaben, ihn zu verraten.«
»Sie werden’s ja sehen.« Und Hammond ging davon, zurück zu der Quechua-Gruppe, als Ollantay mit seiner Zeremonie begann.
Ollantay erklomm die sargähnliche Kiste. Die leisen Gespräche um ihn herum verstummten.
»So beginnen wir nun den letzten Akt«, sagte er. »Den Entscheidungskampf mit Nathan Lammockson, um den Makel des Kolonialismus auszulöschen. Und es ist angemessen, dass wir uns hier an dieser historischen Stätte auf die
letzte Schlacht vorbereiten.« Er wedelte mit einer Hand. »Dies ist Qorikancha, der Sonnentempel - die wichtigste Kultstätte im Inka-Reich. Einst waren die Wände von siebenhundert Goldplatten bedeckt. Kaisermumien saßen auf Thronen aus Gold und Silber. Selbst in dem Hof, in dem wir hier stehen, gab es goldene Statuen schöner Frauen und Lamas, Bäume und Blumen aus Gold - sogar goldene Schmetterlinge. Die Spanier haben den Tempel entweiht, sie suchten nur Gold und interessierten sich nicht für die Inkas und ihre Götter, und sie verwandelten diese steinerne Hülle in eine christliche Kirche. Aber jetzt geht die Inka-Sonne von neuem auf.« Er hob einen Militärstiefel und stampfte auf den Sargdeckel. Der Deckel splitterte und brach auf. Ollantay langte nach unten und zog ein Gewirr staubiger, zerbrochener Knochen herauf, Fragmente, die mit Draht grob zu einem Skelett verbunden waren. Ollantay packte den Schädel mit dem klaffenden Kiefer und ließ die Knochen in der Luft klappern. »Sehet Pizarro! Sehet Pizarro!«
Aus den Reihen seiner Anhänger stieg lautes Gebrüll auf. Zwei Männer errichteten einen aus Zeltstangen improvisierten Galgen, und eine Schlinge wurde um den Hals des seit fünfhundert Jahren toten Konquistadoren gelegt, dessen Gebeine vergilbt und gesplittert waren.
Als das Skelett vor den mächtigen Mauern des Tempels in die Luft gehievt wurde, sagte Bürgermeisterin Thorson leise: »Gott stehe uns allen bei!«
70
Es war furchtbar lange her, dass Cuscos Estadio Universitario für die Zwecke benutzt worden war, für die man es gebaut hatte, dachte Lily. Jetzt drängten sich Zelte und mobile Toilettenhäuschen auf dem Spielfeld des Stadions. Das Gras war niedergetrampelt und von Fahrzeugspuren zerschnitten, wo es nicht von Laufbrettern abgedeckt war. Man hatte Nahrungs- und Wasservorräte angelegt, die Tore verschlossen, und die Kräne, an denen früher Fernsehkameras montiert gewesen waren, beherbergten MG-Nester. Lammocksons Privatarmee mangelte es an schweren Waffen, aber das Feld war von kleinen Artilleriegeschützen umringt.
Hier würde Nathan Lammockson sich den Eindringlingen entgegenstellen. Seit den ersten Meldungen, dass Ollantay mit seiner zerlumpten Armee im Anmarsch war, hatte Lammockson eine Art Politik der verbrannten Erde betrieben. Er hatte sich mit ein paar Tausend Leuten - seinen treuesten Wachen, seinen engsten Beratern und Unterstützern und allen, die ihm etwas bedeuteten und ihm gegenüber loyal waren - in diese fertig vorgefundene Festung zurückgezogen. Der Rest von Project City war geräumt worden; die Einwohner hatten sich entweder in Kirchen und Kellern verschanzt oder waren nach Chosica geschickt worden, wo sie auf der noch immer nicht fertigen Arche Zuflucht fanden.
Danach hatte man sämtliche Vorräte aus der Stadt geschafft. Lammockson war überzeugt, dass die Rebellen auseinanderlaufen würden, sobald sie Hunger und Durst bekamen.
Im Innern des Stadions herrschte eine seltsame Atmosphäre. Der Himmel über dem Rund war strahlend blau; die an diesem Wintertag tief stehende Sonne warf ein goldenes Licht ins Stadion, so dass die polierten Waffen glänzten, und das Stimmengewirr von Tausenden, die in dieser Schüssel versammelt waren, erweckte den Eindruck, als handelte es sich um die Besucher einer Sportveranstaltung. Das alles bewirkte, dass Lily eine eigentümliche Fröhlichkeit verspürte, als wäre dies ein Samstagnachmittag in London und sie hätte Amandas Kinder zu einem Fußballspiel mitgenommen, zu Fulham oder den Queen’s Park Rangers. Doch heute war eine Veranstaltung anderer Art geplant.
Lammockson selbst befand sich genau im Mittelpunkt des Spielfelds, wo einst Fußballmannschaften den Anstoß ausgeführt hatten. Er saß in der Sonne auf einem aufgeklappten Segeltuchstuhl, eine Sonnenbrille verbarg sein Gesicht. Und er war von Soldaten
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