Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
sie trieben über den Horizont davon, einem Schicksal entgegen, das sich niemand an Land vorstellen wollte. Doch aus den überfluteten Städten stiegen immer weitere empor.
Kristie verfolgte das aufmerksam. Jahrelang von Cusco isoliert, fragte sie sich, ob es dort irgendjemanden gab, der sich ebenso wie sie voller Besorgnis fragte, wie lange das noch so weitergehen konnte.
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AUGUST 2035
Ollantays bunt zusammengewürfelte Armee durchbrach die Außengrenzen von Project City in der Nähe des Flughafens.
Die Invasionsstreitmacht besaß weder Rüstungen noch schwere Waffen. Aber sie umfasste zahlreiche Menschen, die Quechuas und die anderen Besitzlosen aus dem Hochland, dazu viele der zornigen Armen aus P-ville und Hunderte durchtrainierter Erwachsener aus Walker City. Und sie hatte haufenweise AK-47-Sturmgewehre und jede Menge Munition.
Die halbherzigen Schusswechsel in der Umgebung des Flughafens forderten nur wenige Todesopfer. Lammocksons Truppen hatten sich zu gut eingegraben, als dass sie durch Ollantays krude Taktiken verwundbar gewesen wären, aber andererseits schienen sie zu zögern, die schweren Waffen einzusetzen, die sie besitzen mussten. Als das Geplänkel vorbei war, hatten die Rebellen einen erheblichen Teil von Lammocksons Streitmacht festgesetzt, der sich im Terminal verschanzt hatte. Ollantay stellte das Patt als Sieg dar, weil dieser Quadrant von Cusco dadurch so gut wie jeder Verteidigung beraubt war.
Dann führte er seine Armee von Südosten in die Stadt.
Die Eindringlinge arbeiteten sich auf einer breiten, verlassenen Straße namens Avenida El Sol voran, die den älteren
Karten zufolge, die Gary in seinen Ärmelaufnäher heruntergeladen hatte, direkt ins ehemalige Zentrum von Cusco führte.
Die Rebellen teilten sich in zwei Reihen auf, die im Schutz der Gebäude zu beiden Seiten der Straße vorrückten und sich von der Straßenmitte fernhielten, wo sie für Scharfschützen leichte Beute gewesen wären. Eine Handvoll militärischer Veteranen unter den Wanderarbeitern von Walker City hatte Ollantay solche rudimentären militärischen Taktiken eingeimpft. Aber die geduckte, nervöse Art, wie sich die Eindringlinge in Hauseingänge kauerten, sich an jede kleine Deckung klammerten und furchtsam auf Schatten und zum Himmel spähten, zeigte ihre Unerfahrenheit. Die meisten von ihnen hatten Kalaschnikows, mit denen sie so lässig herumfuchtelten, dass Gary es mit der Angst zu tun bekam.
Walker Citys gegenwärtige Bürgermeisterin, Janet Thorson, war eine knallharte Frau in den Fünfzigern, die ursprünglich aus Minnesota stammte, mit ergrauendem blondem Haar, klein, kräftig und drahtig. Jetzt folgte sie mit Gary der Vorhut von Ollantays Armee. Sie trugen beide ihre uralten AxysCorp-Overalls, immer noch ihre vielseitigsten und haltbarsten Kleidungsstücke, die, zu Tarnzwecken völlig verschmutzt, noch am meisten Ähnlichkeit mit einem Kampfanzug hatten - Kleidung, deren Kauf Nathan Lammockson einst ein kleines bisschen reicher gemacht hatte und die nun von einer Armee getragen wurde, die gekommen war, um ihn zu stürzen. Abgesehen von den Pistolen, die in ihren Overalls steckten, waren Janet und Gary unbewaffnet. Sie hatten keine Rüstung, keine kugelsicheren Westen oder Helme,
und Gary, der kein Soldat war, kam sich sehr verletzlich vor.
»Scheiße, diese Kinder haben das Recht, wachsam zu sein«, sagte Janet Thorson. »Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Keiner von uns ist mehr an Städte gewöhnt. Manche der Walker-Kids waren noch nie in einer solchen Umgebung, noch kein einziges Mal in ihrem jungen Leben. Und ich schätze, für die meisten dieser Anden-Bewohner ist es ebenfalls ein Debüt.«
Mit all dem hatte sie vermutlich Recht. Zudem fiel Gary auf, dass Cusco besser in Schuss war als jede andere Stadt, die er persönlich in den letzten Jahren gesehen hatte. Die Häuser waren weitgehend unbeschädigt, der Straßenbelag gut erhalten. Es gab sogar Geschäfte an dieser langen Avenida; sie waren jetzt verriegelt und verrammelt, ansonsten aber offenbar noch in Betrieb. Es war jedoch kein Mensch zu sehen, weder Erwachsene noch Kinder, nicht einmal ein Hund; selbst die Vögel waren verstummt. »Ich schätze, diese Stadt spiegelt Nathan Lammocksons Willen wider«, sagte er. »Willenskraft, Disziplin und Führungsqualitäten, über Jahrzehnte hinweg eingesetzt.«
Thorson grunzte. »Ja, und dazu das Geld, das er aufgesaugt hat, während die Welt zum Teufel gegangen ist. Aber Disziplin und
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