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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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auch nicht im Gang dahinter. Der Geruch würde jeden, der sich an Bord der Arche herumtrieb, herlocken, um ihre Anwesenheit zu entdecken – und damit ihr Nest und ihre Kätzchen. Ratten könnten daherkommen oder, noch schlimmer, Doktor Noyes. Die Erinnerung an seine Stimme veranlasste sie, die Decke mit den Ohren abzusuchen – aber die Stimme dort oben hatte aufgehört und alles, was sie hörte, war der Sturm und die knarrende Arche.
     
    Kann ich in Sicherheit weggehen?
    Ja – niemand ist in der Nähe. Aber versteck deine Kinder!
     
    Bevor Mottyl aus der Wiege sprang, vergrub sie die Kätzchen tief im Heu – sie drückte das Heu mit ihrer Nase gegen sie und zog es mit ihren Pfoten über sie. Kein Einziges wachte auf und sie segnete die Bewegung der Wiege: Sie würde während ihrer Abwesenheit ihren Schlaf noch vertiefen.
    Mottyl stand mitten auf dem Boden, kniff die Augen gegen die Dunkelheit zu und versuchte mit ihrem guten Auge wenigstens ein kleines Restchen Licht heraufzubeschwören, das, obwohl noch nicht so völlig blind wie das andere, immer weniger in der Lage war, eine Durchbrechung der Finsternis zu entdecken. Bald würde das Licht nur eine Erinnerung sein, aber noch war es nicht so weit…
    Ich kann die Tür nicht finden. Da – genau vor dir.
    Eine rechteckige, senkrechte Form schwebte durch die Luft – Mottyl nahm an, es sei der Spalt einer offenen Tür. Sie witterte, um Anzeichen eines Luftzugs zu suchen – aber außer Äpfeln konnte sie nichts riechen. Mrs Noyes hatte die Apfelschürzen unter der Koje gelassen, und ihre Süße strömte über den Fußboden und löschte jeden anderen Geruch aus.
    Einen Augenblick lang dachte Mottyl daran, ihren Kot unter den Äpfeln zu begraben, mit dem Gedanken, dass deren Duft stark genug war, um anderes zuzudecken. Aber ihre Flüsterstimmen sprachen dagegen.
     
    Gefährlich. Zu nahe bei deinem Nest.
    Beeilt euch, dann – helft mir hier herauszukommen!
    Tür.
    Ist das wirklich eine Tür?
    Beweg dich!
     
    Mottyl lief durch die Finsternis auf die viereckige Form zu, setzte sich dabei gegen die heftige Bewegung des Bodens unter ihren Füßen durch und entdeckte, dass das tatsächlich eine Tür war. Es war leicht sie zu öffnen, nachdem sie ihren Bart durchgesteckt hatte und mit den Schultern fest drückte.
     
    Was ist das hier?
    Ein Gang.
    Wo führt er hin?
    Geh nach links!
     
    Mottyl suchte mit der Schulter die Wand und bewegte sich, von den Zuckungen ihres Darmes getrieben, den Gang entlang auf den Schacht zu – ohne natürlich zu wissen, dass sie auf einen Abgrund zuging, der vier Stockwerke tief war. Auch ihre Flüsterstimmen konnten ihr nicht sagen, wie tief er war. Sie erkannten nur den darin entstehenden Luftzug, der die Gerüche von Heu und von anderen Tieren mit sich führte.
    Hunderte davon!
    Es muss einen Misthaufen geben.
    Der Gedanke daran, dass sie bald eine sichere Stelle finden würde, wo sie ihren Kot ablegen und begraben könnte, machte Mottyl unvorsichtig, und sie eilte weiter, von der zunehmenden Stärke des Luftzugs und dem überwältigenden Bedürfnis getrieben, sich zu erleichtern.
    Nicht so schnell! Sei vorsichtig!
    Aber Mottyl hörte nicht darauf.
    Plötzlich war sie am Rand des Schachts, und obwohl er durch ein Geländer abgesichert war, das um alle vier Seiten verlief, bot es keinerlei Schutz für ein Geschöpf von der Größe einer Katze.
    Natürlich wusste Mottyl aufgrund des Aufwinds, dass sie am Rande irgendeines Loches, irgendeiner Grube stand. Aber nichts half ihr dabei, die Tiefe einzuschätzen. Da sie im Laufe ihres Lebens auf viele Bäume geklettert war – auch bis in die völlig unmöglichen Höhen von Krähes Sequoia –, wusste sie, dass Höhen nur durch Hochklettern gemessen werden können, Tiefen also wohl nur durch Absteigen.
    Ich werde springen.
    Such eine Treppe!
    Dazu ist keine Zeit. Und vielleicht gibt es gar keine Treppe.
    Aber…
    Mottyl sprang.
    Als ihr auf halber Höhe klar wurde, was sie getan hatte, stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus.
    »Oh, meine Kinder!«
    Dann – Stille.
    Mrs Noyes stürmte durch die Tür – vor Wut hielt sie es nicht mehr aus.
    »Was soll das bedeuten?«, schrie sie. »Was soll das BEDEUTEN?«, brüllte sie – und beinahe wäre sie in ihrem Zorn die Treppe hinuntergefallen. »Was soll das bedeuten, dass wir alle getrennt werden? Ich VERSTEHE ES EINFACH NICHT!«
    Ham zog die Tür hinter ihnen zu, sperrte den Sturm aus.
    Mrs Noyes saß auf der untersten Stufe und weigerte sich,

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