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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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an der Tür, noch in Ungnade und von den Schatten fast verschluckt. Über den Köpfen schaukelte eine Lampe im Rhythmus der Arche, die sich nicht von einer Seite auf die andere, sondern von einem Ende zum anderen bewegte – der Bug hob sich hoch über die Wellen und stürzte dann abrupt hinunter, ohne irgendeine Bewegung nach vorne zu machen. Genau besehen, stand die Arche still – sie verfing sich nur im Sog der enormen Tiefen, die einst allesamt Täler gebildet hatten, Täler im Schutz von Noahs Berg. Allein der Sturm bewegte sich.
    »Also«, sagte Noah – er kniff die Augen zusammen und betrachtete die, die ihm gegenübersaßen. »Vier und vier sind acht.«
    Luci machte gerade Anstalten zu lachen – und Mrs Noyes wollte gerade sagen: Ja – und zwei und zwei sind vier, als beide stutzten; plötzlich wurde ihnen klar, dass Noah mehr als eine rein mathematische Tatsache gemeint hatte. Er zog einen Strich zwischen ihnen – mitten durch den Tisch: Wir und ihr, sagte er, uns und sie … vier und vier sind acht.
    Sem hatte ein Diagramm mitgebracht, das Noah jetzt von ihm verlangte und dann auf dem Tisch ausbreitete.
    »Jetzt«, sagte er. »Kommt näher heran!«
    Seltsamerweise – so schien es zumindest Mrs Noyes – waren es nur diejenigen auf ihrer Tischseite, die »näher herankamen«. Die anderen – Sem, Hannah und Japeth – blieben, wie sie waren, gelassen und still – und mächtig (das war das Wort, das ihr dazu einfiel) – beachteten kaum den Plan, während Noah sich darüber beugte und seine Finger mitten darauf legte.
    Das Diagramm war offensichtlich eine Darstellung der Arche; es zeigte sie im Schnitt von der Seite, ließ alle vier Decks erkennen und die Verschläge und Unterbringungsmöglichkeiten für die Tiere, die Heuböden, die Lagerräume, Kajüten, Latrinen und Kombüsen – und obenauf eine Schnittzeichnung von Noahs Kastell, wo sie im Augenblick saßen, und von der Kapelle mit ihrem Opferaltar und ihrem Kamin. Unter dem Höcker des Afterdecks war ein Lagerraum, der als »Arsenal« bezeichnet war.
    »Arsenal, Noah?«, fragte Mrs Noyes.
    »Ja. Im Falle von Piraten.«
    »Piraten? Was sind Piraten?«
    »Barbaren, meine Liebe. Vandalen der sieben Weltmeere.«
    »Willst du damit sagen, du rechnest damit, dass wir angegriffen werden?«
    Noah zuckte mit den Schultern. »Die Möglichkeit besteht immer«, sagte er.
    »Aber – nach Jahwes Edikt«, sagte Mrs Noyes, »sollten nur wir überleben.«
    Noah winkte bei dem Hinweis ab. »Ganz klar, auf lange Sicht stimmt es, dass wir alleine durchkommen werden. Aber nicht ohne Prüfungen durchlaufen zu müssen, meine Liebe. Nicht ohne zu leiden…«
    »Und nicht ohne Piraten?«
    »Eben.«
    Schlagartig wechselte er das Thema, obwohl Mrs Noyes den unbefriedigenden Eindruck hatte, das ganze Piratenproblem noch gar nicht begriffen zu haben. Von wo aus würden sie auftauchen? Wann könnte man mit ihnen rechnen? Wer hatte ihren Mann von ihrer Existenz unterrichtet? Es ging über ihren Verstand – war sehr, sehr mysteriös und beunruhigend.
    Noah war offensichtlich etwas nervös wegen des nächsten Punktes, den er jetzt vorbrachte und auf die Tagesordnung setzte. Er war in der Tat so nervös – oder genierte er sich? –, dass er sich weit in seinem Stuhl zurücklehnte und mit einem Fingerschnalzen Hannah dazu aufforderte, das nächste Thema zur Sprache zu bringen. Abraham schnurrte laut. Sarahs blauer Blick heftete sich auf Mrs Noyes.
    Hannahs gerade Sitzhaltung war trotz ihrer Schwangerschaft und trotz der Bewegungen der Arche erstaunlich. Und auch der Ausdruck ihres Gesichts war erstaunlich – vollkommen leer und unbewegt. Sie nahm ihr selbst gemachtes Heft von seinem Platz auf ihrem Schoß – schlug es auf – blätterte ein bisschen in den Seiten und las vor; alle Augen im gegenübersitzenden Lager waren auf sie gerichtet.
    »Die Aufteilung der Unterkünfte geschieht wie folgt…«, und hier unterbrach sie, doch nichts veränderte sich an ihrem Ausdruck – und sagte: »Es wird jetzt nützlich sein, das Diagramm zu konsultieren, bitte.« Dann las sie weiter aus ihrem Heft vor: »Der Hochwürdigste Doktor Noyes…«
    Jetzt war es an Mrs Noyes, ihre Sitzhaltung zu begradigen – vor Staunen und Entrüstung. »Der was}«, fragte sie.
    »›Hochwürdigste‹«, sagte Hannah – sie schaute dabei nicht auf.
    Mrs Noyes sah ihren Mann ungläubig und staunend an. Sie brachte es nicht einmal fertig, ihren Einwand stammelnd oder stotternd zu äußern, sondern gab nur

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