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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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gut. Luci hat sie gefunden.«
    Luci zog die Dame so weit nach vorne, wie sie es wagte – hob sie so behutsam hoch wie ein Stück Glas. Und sofort war nur allzu klar, was geschehen war. Die Dame war verhungert und es war nichts mehr von ihr übrig als Haut und Knochen – eine Brutstätte für Fliegen.
    Luci zog ihre Hände zurück, und sie und Ham und Mrs Noyes wichen nach hinten.
    »Ist sie tot?«, fragte Mottyl.
    »Ja«, sagte Mrs Noyes. »Jetzt sind sie beide zum Wald zurückgekehrt.«
     
     
    Von gegenüber schauten die Füchsin und der Waschbär, Bip und Ringer und die anderen zu, wie die Fliegenkrone sich senkte und die Dame darunter verschwand.
    Plötzlich wurde jedem bewusst, wie klein die Käfige waren, wie niedrig die Decke war, wie wenig Luft es zum Atmen gab, und der Greif fragte: »Werden wir alle so sterben?«
    Einen Augenblick sprach niemand. Dann sagte Luci ganz leise: »Ja. Wir werden alle so sterben. Aber nicht hier.«
     
     
    »Wo gehen wir hin?«, fragte Mrs Noyes, die Luci in die Tiefe hinterhereilte.
    Es war lange nach Mitternacht und Mrs Noyes wünschte, sie läge in ihrem Bett, aber Luci hatte gesagt, keiner würde in dieser Nacht schlafen. Während Ham ein ganzes Waffenarsenal aus Heugabeln, Besenstielen und Schälmessern sammelte, stiegen Luci und Mrs Noyes in den Schacht hinab; jede von ihnen trug einen Sack aus Rupfen und Luci hielt noch eine Laterne mit einer Kerze. Der metallene Glanz ihrer Haare war das Einzige, was Mrs Noyes weiter unten auf der Treppe noch erkennen konnte.
    »Wir werden ein Paar Verbündete gefangen nehmen, die uns sehr nützlich sein können«, sagte Luci.
    »Aber wenn sie Verbündete sind«, wandte die immer logisch denkende Mrs Noyes ein, »warum müssen wir sie dann gefangen nehmen?«
    »Weil sie nicht wissen, dass sie Verbündete sind«, sagte Luci. »Noch nicht.«
    Mrs Noyes war noch nicht so oft wie die anderen unten im Schacht gewesen, nur wenn sie ihre Bären besuchte. Dann stürzte sie jeweils schnurgerade auf den Bärenkäfig los, winkte Stoßzahn und Hippo über die Schulter zu – vor ihnen hatte sie nur wenig Angst – und ignorierte alles andere, was sonst noch da lebte: die Drachen, die Achneins, die Krokodile und die Nashörner.
    Während sie aufpassen musste, dass sie nicht auf Lucis Federn trat – so dicht folgte sie ihr –, betete Mrs Noyes leise darum, dass sie doch bitte nicht die Achneins oder die Krokodile zu Verbündeten machen sollten. Mit Sicherheit kamen Nashörner oder Drachen als Verbündete nicht in Frage, da alle beide nicht in einen Rupfensack passten.
    »Oh – bitte – sag mir doch, was wir hier machen«, bettelte sie.
    »Ich brauche dir nichts zu sagen«, sagte Luci. »Du musst nur um dich schauen.«
    Mrs Noyes schaute.
    Dort in der Ecke ihres Käfigs saßen zwei Arten von Archebewohnern, die sie völlig vergessen hatte (sehr wahrscheinlich deswegen, weil sie von Anfang an nicht erfreut war, sie an Bord zu haben). Vier Dämonen, zwei von der einköpfigen Art und zwei andere, starrten sie mit glühenden Augen an; insgesamt sechsundzwanzig Augen – und alle in prächtigem, flammendem Orange.
    In der Nähe ihres Käfigs roch es nach angesengtem Haar und nach Waldbränden, und sobald sie erkannten, dass Luci ihren Käfig aufmachen würde, drängten sie sich ans Gitter und haschten nach dem Piratenfleisch, das Luci in ihrem Sack mitgebracht hatte.
    »Und jetzt«, sagte Luci – nachdem sie ihren Sack ausgeleert und ihn Mrs Noyes gereicht hatte –, »nimm diesen Sack und deinen eigenen und weiche sie im Wasserfass gründlich ein!«
    Gewissenhaft tat Mrs Noyes, wie ihr geheißen; was bedeutete, dass sie gleich neben den Krokodilen volle zwei Minuten dastehen und die Säcke ins Wasser hinunterdrücken musste.
    In der Zwischenzeit schmeichelte Luci den Dämonen, beschwichtigte sie, streichelte sie, kraulte sie unter dem Kinn, sprach zu ihnen in einer ihrer Fremdsprachen, die von den Dämonen offensichtlich verstanden wurde.
    »Warum wollen wir die als Verbündete?«, fragte Mrs Noyes.
    »Das wirst du schon sehen«, sagte Luci.
    »Zu Hause habe ich ein ganzes Zimmer voll Möbel, die von Dämonen völlig ruiniert wurden«, sagte Mrs Noyes – wobei sie ziemlich übertrieb, denn genau genommen war es nur ein Stuhl gewesen, den ein Dämon, den Japeth mit nach Hause gebracht hatte, angesengt hatte, während Mrs Noyes ihm das Mittagessen auftischte. Sie musste zugeben, dass der Stuhl später ein sehr dankbares Gesprächsthema abgab. »Rate

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