Die letzte Flut
stammelte: Nein – nein – nein – nicht tot. Seid nicht … tot!
Später am selben Abend, als Mottyl in ihrem Nest die Kätzchen füttern wollte, bemerkte sie, dass das silberne Männchen fehlte.
Sie schnatterte und zirpte ihm zu – doch es kam keine Antwort.
»Ihr müsst warten«, sagte sie zu den anderen. »Euer Bruder ist weg, und ich muss ihn finden, bevor Japeth ihn entdeckt…«
Japeths Name war jetzt gleichbedeutend mit gewaltsamem Tod und alle Kätzchen verstanden das und verkrochen sich in die entfernteste Ecke, wo sie sich unterm Stroh versteckten, wie Mottyl es ihnen beigebracht hatte.
Mottyl schob den von Mrs Noyes und Luci errichteten Tarnvorhang beiseite und kletterte den Maschendraht des darunter stehenden Einhornkäfigs hinunter.
Versehentlich und gegen ihren Willen – denn jedes kranke oder trauernde Tier darf sich an einen Zufluchtsort zurückziehen – verirrte sich ihr Blick in den Käfig. Aber sie konnte nicht sehen, ob die Dame darin war oder nicht. Seit dem Tod des Einhorns war die Dame wie verhext, wollte weder sprechen noch essen, noch trinken.
Mottyl beschnupperte die Luft, und obwohl ein ganz schwacher Rest vom Duft des Einhorns selber noch am Draht hing, dort, wo es sein Horn gewetzt hatte, war nicht das Geringste von einer Duftspur von der Dame zu erkennen, kein Geruch von Einhornkot, auch sonst kein Zeichen, keine Andeutung, dass sie sich überhaupt dort befand. Was Mottyl allerdings aufschnappte, war der eindeutige Geruch ihres Sohnes.
»Bist du da drin?«
»Ja, Mam.«
»Dann komm raus! Augenblicklich! Die Dame soll nicht gestört werden. Das habe ich dir schon mal gesagt. Komm raus!«
»Ja, Mam.«
»Hast du nicht gemerkt, dass es Zeit zum Abendessen ist?«
»Ja, Mam.«
»Also raus! Raus – raus – raus… Ich habe dir gesagt, du sollst nicht herumstreunen.«
»Ja, Mam.«
Auf wackeligen Beinen bewegte sich das silberne Kätzchen auf die Gestalt seiner Mutter zu, die vor ihm im Maschendraht hing.
»Wie bist du da hineingekommen?«
»Durch die Ecke.«
»Kommst du wieder alleine raus?«
»Ja, Mam.«
»Hast du die Dame gesehen?«, flüsterte Mottyl, als das Kätzchen die Ecke des Käfigs erreichte und sich zu ihr durchzuzwängen begann. »Hat sie mit dir gesprochen?«
»Nein, Mam.«
»Ich nehme an, dass sie immer noch sehr traurig ist…«
»Vielleicht, Mam. Aber ich glaube, dass nicht so viel von ihr da ist, was traurig sein könnte. Oder sonst was sein könnte.«
»Ach ja? Was genau meinst du damit? Nicht so viel von ihr da…«
Das Kätzchen drückte sich in die Ecke und Mottyl kletterte weiter den Draht hinunter, um ihm näher zu sein, wenn es herauskam.
»Das, was ich sage«, erklärte es. »Es ist kaum etwas von ihr übrig.«
Mottyl wurde schlagartig kalt.
»Na gut. Ich bringe dich erst zu den anderen hinauf, dann sollte ich wohl am besten Mrs Noyes holen.«
Sie nahm das Kätzchen ins Maul, trug es zu ihrem Nest zurück und sagte, es solle sich in der Ecke verstecken. Sobald es in Sicherheit war, kletterte sie wieder hinunter und klammerte sich an den Draht.
»Dame?…«
Es kam keine unmittelbare Antwort. Aber da war ein Geräusch.
Fliegen.
Waren sie die ganze Zeit dort gewesen? Warum hatte sie sie nicht gehört?
»Sprich, Dame! Sag was! Bist du da?«
Mottyl wäre gerne so klein gewesen wie ihr Sohn, um durch den Maschendraht kriechen zu können. Wenn die Dame sterben sollte…
Sie ließ sich zu Boden fallen und eilte den Gang entlang, wobei sie, bis sie unten an der Treppe ankam, den Luftzug zur Orientierung benutzte; dort blieb sie stehen, warf den Kopf in den Nacken und schrie, so laut sie konnte.
Mrs Noyes kam aus einer Richtung angelaufen, Luci aus einer anderen, Ham aus einer dritten. Alle drei drängten zur Treppe und Mrs Noyes stolperte fast dabei.
»Was ist? Was ist los?«
»Schnell! Schnell!«, schrie Mottyl. »Schnell! Schnell!« Und sie eilte den Gang zurück zu dem Einhornkäfig und ihrem eigenen Nest.
Mrs Noyes, Ham und Luci folgten und schauten zu, wie Mottyl den Maschendraht wieder hochkletterte und vor der Dame hängen blieb und keuchte: »Da…«
Mrs Noyes nahm Mottyl weg und hielt sie beiseite, während Luci und Ham die Tür zum Käfig entsicherten und öffneten.
Luci griff so weit wie möglich hinein und murmelte: »Fliegen…«
»Ja, ich weiß«, sagte ihr Mottyl. »Das bedeutet…«
»Schhh, schhhh«, sagte Mrs Noyes und hielt Mottyl fest und wiegte sie von einer Seite zur anderen. »Jetzt ist alles
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