Die letzte Flut
mal, woher diese Spuren stammen…«, fing sie dann immer an. Aber niemand kam auch nur annähernd auf die Antwort, denn es war nie üblich, Dämonen auf Stühlen sitzen zu lassen oder zum Mittagessen einzuladen.
Als die Rupfensäcke – Lucis Anleitung gemäß – eingeweicht und nur leicht ausgewrungen waren, schlich Mrs Noyes auf Zehenspitzen an den gähnenden und neugierig gewordenen Krokodilen vorbei und fragte: »Und jetzt?«
»Jetzt halte du die Säcke auf und ich stecke die Dämonen hinein.«
»Du meinst, du kannst sie wirklich hochheben?«
»Ja«, sagte Luci. »Ich bin geschützt. Schnell! Lass uns die Dunkelheit nutzen.«
Also machte Mrs Noyes zuerst den einen und dann den anderen Sack so weit wie möglich auf und hielt sie Luci auf Armeslänge hin.
»Vielleicht werden wir sie noch einmal nass machen müssen, bevor wir fertig sind«, sagte Luci – und steckte die einköpfigen Dämonen, die sich so folgsam wie Kaninchen benahmen, in den ersten Sack. Als die Dämonen es sich im feuchten Sack bequem machten, roch es sofort nach Feuer, das man gerade gelöscht hatte.
Das zweite Paar verhielt sich weniger kooperativ – die beiden beklagten sich (offensichtlich) darüber, dass im Sack sehr wenig Platz für ihre vielen Köpfe und sonstigen Anhängsel war. Mrs Noyes, die dem ganzen Gekreische keinen Sinn abgewinnen konnte, war drauf und dran, den Sack fallen zu lassen und wegzulaufen, doch Luci machte ihr klar, dass es sich nur um eine vorübergehende Krise handle, die sie einfach ignorieren solle.
»Du kannst die Einköpfigen tragen, wenn dir dabei wohler zumute ist«, sagte Luci – und tauschte die Säcke mit Mrs Noyes.
»Danke«, sagte Mrs Noyes. »Und wie trägt man nun einen Sack voller Dämonen?«
»Ganz einfach«, sagte Luci. »Man wirft ihn über den Rücken, genau wie einen Sack mit etwas anderem darin auch. Du wirst sehen… das gefällt ihnen ziemlich gut.«
Luci schwang den Sack mit den anderen Dämonen über ihre Schulter und sofort war ein ganzer Chor von entzücktem Quieken zu hören.
»Was es nicht alles gibt!«, sagte Mrs Noyes. »Du hast Recht. Es gefällt ihnen tatsächlich…« Und schon hievte sie den eigenen Sack über den Rücken, schwang ihn dabei durch die Luft.
»Aiiii!«, riefen die Einköpfigen im Sack Luci zu. »Sag ihr, sie soll das noch einmal machen!«
»Dazu haben wir keine Zeit«, sagte Luci. »Wenn ihr eure Aufgabe erfüllt habt, dürft ihr euch über Schultern schwingen lassen, sooft ihr wollt. Jetzt erst an die Arbeit.«
Dämonen zu schleppen war für Mrs Noyes, gelinde gesagt, ein recht seltsames Gefühl. Die Hitze, die von ihnen ausging, war nicht unangenehm – und da der Sack nass war, konnten sie kein Feuer entfachen. »Sie könnten einem nachts im Bett gute Dienste erweisen«, sagte sie zu Luci. »Oder bei einem Anfall von Arthritis.«
Sie eilten aus dem Schacht, liefen durch die Gänge und die nächste Treppe hinauf und mussten nur einmal Halt machen, um die Dämonen zu befeuchten. Als sie zu Ham und seinem Waffenlager zurückkamen, hatte Mrs Noyes vor Aufregung einen ganz roten Kopf.
»Ich bringe Dämonen!«, sagte sie. »Ich bringe uns Dämonen!« – wie ein Kind, dem es zum ersten Mal gelingt, eine Kobra aufzuheben.
Ham war nicht beeindruckt. Seine Gedanken waren bei dem, was ihnen bevorstand.
Der Plan war relativ einfach und gut auszuführen. Luci hatte vor, mit Hilfe der Dämonen die Holztür an der Treppe, die zu den oberen Decks führte, durchzubrennen und, wenn sie oben angelangt waren, Japeth im Arsenal zu überwältigen.
»Wenn wir ihn ausschalten können, sind die anderen hilflos. Schwester Hannah wird sehr wahrscheinlich nicht kämpfen, Doktor Noyes ist zu alt zum Kämpfen und Sem ist so faul geworden, dass er nicht wird kämpfen können, Emma wird natürlich auf unserer Seite sein und uns helfen. Aber das Wichtigste ist, dass uns der Überraschungseffekt gelingt. Die Dämonen haben einen zweifachen Vorteil: Sie werden uns durch die Tür bringen – und sie werden uns leise durch die Tür bringen. Kein Hammer; kein Meißel; keine Eisensäge – nur ein schöner sauberer Brand.«
Hams Waffenvorrat war eher mager ausgefallen – aber immerhin war genug da, um jeden mit einem Küchenmesser und einer Heugabel auszustatten. Aus den Besen hatte er einen Satz Speere gemacht, insgesamt sechs, die er selber tragen würde. Jeder Speer hatte als Spitze ein weiteres Küchenmesser – er hatte sich aber nicht entschließen können,
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