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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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willst du hier unten überhaupt mit dem Schwert?«
    Japeth stapfte über den Boden, wo das Einhorn gestorben war, und ging auf die Rinderverschläge zu.
    »Nein!«, sagte Mrs Noyes. »Bleib stehen!«
    Auf eine Hand gestützt, sprang Japeth über die Sperre und stand schon mitten unter den Rindern.
    Mrs Noyes blickte erschrocken auf, als sie den ersten Schrei hörte – dann machte sie kehrt, rannte zum Gang zurück und rief nach Ham und Luci.
    Aber Ham war ganz unten im Schacht bei Stoßzahn und Hippo und Luci, weit weg, fütterte gerade den Greif.
    »Hilfe!«, schrie Mrs Noyes. »Hilfe! Hilfe! Hilfe!«
    Jeder hörte sie, Mottyl und Krähe inbegriffen, aber da beide sich versteckt hielten, wussten sie nicht, ob sie herauskommen durften oder nicht. Was die anderen betrifft – abgesehen von Ham und Luci –, sie waren alle in ihrem Verschlag oder Käfig und hätten ihr erst dann zu Hilfe eilen können, wenn man ihre Tür geöffnet hätte.
    Luci, die am nächsten stand, war bei Mrs Noyes, zumindest so rechtzeitig, dass ihr noch kein Schaden zugefügt werden konnte.
    Da sie dachte, niemand würde ihr helfen, war Mrs Noyes auf Japeth losgestürzt, als er wieder aus dem Stall herauskam; sie hatte vor, ihn mit einer Mistgabel zu Fall zu bringen. Aber Japeth war nicht mehr der linkische, tölpelhafte Kriegerjunge, der wenige Monate zuvor noch seine Laterne mit einem Schwert verwechselt hatte. Seitdem er gegen die Piraten gekämpft und das Einhorn getötet hatte, hatte er sich zu einem tüchtigen Kriegsherrn und fähigen Schlachter entwickelt. Folglich funktionierten seine Reflexe, als er um die Stallecke erschien, perfekt – und als die Mistgabel auf ihn zukam – sie zielte zwischen seine Knie –, verpasste er ihr einfach mit seinem Schwert einen Rückhandschlag und schnitt den Stiel entzwei.
    Als Folge davon wurde Mrs Noyes rückwärts gegen die Wand geschleudert, wo sie mit der Schulter sehr hart aufschlug und zu Boden fiel. Japeth beugte sich gerade mit seinem Schwert über sie, als Luci auftauchte.
    »Wer bist du?«, fragte er, da er Luci in ihrer gegenwärtigen Verkörperung noch nie gesehen hatte.
    »Es reicht«, sagte Luci, »wenn ich das weiß; du kannst gern raten.«
    Sie starrten sich gegenseitig an – Japeth mit zusammengekniffenen, Luci mit weit geöffneten Augen.
    Einer von beiden musste nachgeben, einen Rückzieher machen – doch bestimmt nicht Luci.
    Japeth sagte: »Ich gehe jetzt. Versuche nicht mir zu folgen!«
    »Fällt mir nicht im Traum ein«, sagte Luci.
    Japeth zeigte mit dem Schwert auf seine Mutter. »Geh nie wieder so auf mich los, sonst bring ich dich um!«
    Mrs Noyes hatte keine Worte mehr. Ihr eigener Sohn…
    Japeth drehte sich um und marschierte den schwach beleuchteten Gang hinunter; die Beute hing über seinen Rücken.
    Als Mrs Noyes sah, was da hing, war sie von Grauen so überwältigt, dass sie – endlich – in einen Schreikrampf verfiel und schrie, bis sie die Stimme verlor.
    Luci kniete sich auf die Bretter vor ihr, hielt sie fest und wiegte sie hin und her, bis nur noch ein stummes Schluchzen und Händeringen von ihr kamen.
    Japeths Trophäen bestanden aus den Köpfen von vier Kälbern, deren Blut ihm hinten die Beine hinunterlief und deren Maul noch voll Milch war, als er sie geschlachtet hatte.
     
     
    An jenem Abend verspeiste Noah glasierte Zunge und Kalbshirn, und während er die Finger in den Teller tunkte und sie dann in seinen Schoß legte, wo die wartenden Mäuler der Katzen sie abschleckten, dachte er: Wenn der Altarstein größer wäre, könnte ich den Ochsen opfern, den ich aufgehoben habe. Aber es gibt auch noch den Widder – und falls er inzwischen dafür zu groß geworden ist, werden wir eben wieder Lämmer opfern …
    Die schleckenden Mäuler saugten fester.
    »Soso – die Idee gefällt euch wohl. Ja, meine Kinder, aller Wahrscheinlichkeit nach wird es auch Jahwe gefallen. Und wenn ihm der süße Geruch unseres Opfers in die Nase steigt, kann es sein, dass wir ihn mit unserem Gebet dazu überreden können, wieder auf uns herunterzulächeln. Und zu uns zurückzukehren…«
    … aus seinem großen Schlaf, dachte Noah. Oder von seiner großen Reise … oder von seinem langen Aufenthalt im Land des Vergessens.
    Noah hing förmlich über seinem Teller, immer noch wanderten seine Finger nach unten, sein Mund stand offen. Und sein Hirn stieß gegen die Wand, an der es nicht vorbeikonnte; und diese Wand war das Grab Jahwes – und es drückte sich gegen die Steine und

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