Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
Vom Netzwerk:
wohltuend zischte.
     
     
    Jeder Dämon musste zweimal eingesetzt werden, damit das Loch, das entstand, nicht nur so groß war, dass Luci ihren Arm durchstecken konnte, sondern ihr auch genug Freiraum ließ, um die Riegel auf der anderen Seite der Tür zurückzuschieben. Das erste Ziel war endlich erreicht, doch dann wurde es schwieriger, was hauptsächlich damit zusammenhing, dass Luci versuchte, möglichst leise zu sein. Die Riegel waren verrostet und quietschten leicht, was bedeutete, dass Luci sie sehr langsam betätigen musste. Schließlich gelang es ihr fast ohne jegliches Geräusch.
    »Geschafft!«, flüsterte sie – und zog den Arm triumphierend heraus. »Wir sind frei!«
    Bald war es so weit: Der Aufstand der Unteren Schichten würde beginnen.
     
     
    Luci und Mrs Noyes ließen die Säcke mit den Dämonen über ihren Rücken gleiten – ganz langsam, um im Innern kein Gejuchze auszulösen –, dann hoben sie ihre Küchenmesser und Heugabeln auf und stellten sich zu beiden Seiten der Tür.
    Ham, der einen Umhang aus Rupfen um die Schultern trug, trat vor die Tür, die Speere in der einen Hand und die Heugabel in der anderen. Sein Messer steckte sicher in seinem Gürtel.
    »Na, dann los«, sagte er, und drückte die Tür mit der Zehe auf.
    Den Anblick, mit dem sie begrüßt wurden, hätte keiner für möglich gehalten.
    Es schneite.
    »Ach – wie schön!«, flüsterte Mrs Noyes; mit weit geöffneten Augen blickte sie auf die Szenerie.
    »Es wird weniger schön sein, wenn wir einmal da draußen sind«, sagte Luci. »Pass auf!«, sagte sie zu Ham. »Es ist bestimmt glatt.« Aber Ham war schon hinausgegangen.
    Die Luft war von einem milchigen Licht durchdrungen, dabei war es zwei oder drei Uhr nachts und ansonsten stockfinster. Jeder Zentimeter des Decks – Kastell, Pagode und Arsenal mit eingeschlossen – war mit einer dicken, nassen, weißen Schicht bedeckt, und es war absolut windstill. Der Schnee fiel senkrecht nach unten in Flocken so groß wie Kupferpfennige – und er war so dicht, dass er eine unheimliche, jedoch tröstliche Stille erzeugte.
    Die Dämonen, vom Geruch des Schnees fasziniert, steckten die Köpfe aus den Säcken und streckten ihre Zungen aus, um ihn aufzufangen, was sich anhörte wie Wassertropfen, die in eine Pfanne mit heißem Fett spritzen.
    Mrs Noyes drehte sich zum Arsenal um und sah all die Vögel, die sich unter ihren Schneeumhängen auf der Reling zusammenkauerten – bei einigen war der Schnabel länger geworden, Eiszapfen hatten sich an der Spitze gebildet. Und in der Tat dauerte es auch nicht lange, bis an ihren eigenen Haarspitzen Eiszapfen hingen, denn der Schnee schmolz allmählich und lief ihr den Nacken hinunter.
    Ham lag – wie zuvor abgesprochen – auf dem Dach des Arsenals, und zwar genau über der Tür. Aus dieser Position würde er Japeth aus dem Hinterhalt überfallen. Luci marschierte mitsamt dem glühenden Sack voller Dämonen hin zu der Tür und schlug mit dem Stiel ihrer Heugabel fest dagegen: Bumm.
    Es kam keine Reaktion, nur einige Vögel wachten auf und veränderten auf der Reling ihre Position, um besser sehen zu können, was los war; dabei schüttelten sie den Schnee von sich und stießen gegen andere Vögel, die weniger neugierig waren.
    Luci schlug noch einmal gegen die Tür: Bumm.
    Ein oder zwei Vögel blickten auf – schlecht gelaunt, weil sie im Schlaf gestört wurden. Aber Luci beachtete sie nicht und haute noch dreimal hintereinander gegen die Tür.
    Es geschah immer noch nichts.
    Dann – ganz plötzlich – bewegte sich etwas beim Kastell und hinter den Verschwörern trat eine Gestalt hervor.
    »Sucht ihr mich?«, fragte sie.
    Es war Japeth – von Kopf bis Fuß bewaffnet und gepanzert – und gegen die Witterung trug er zusätzlich einen leuchtend roten Umhang.
    Außerdem führte er seine beiden Wölfe an ihren Messingketten mit sich.
    Es gab nur eines, wovor Luci panische Angst hatte – vor Hunden und Wölfen – und so blieb sie wie angewurzelt stehen, als Japeth die Ketten von den Handgelenken fallen ließ und bellte: »Greift an!«
    Die Wölfe, die selber vor Panik erstarrten, blieben stocksteif stehen, die Augen fest auf Luci gerichtet. Während einiger langer Sekunden bewegte sich niemand. Dann machte Japeth noch einen Schritt vor und hob sein Schwert.
     
     
    Fünfzehn Minuten später saßen Luci, Ham und Mrs Noyes mit dem Rücken gegen die Wand des Arsenals auf dem Deck; die Säcke mit den Dämonen zischten neben ihnen im

Weitere Kostenlose Bücher