Die letzte Flut
dass sogar Noah voller Anerkennung laut die Luft einsog.
Es sollte noch mehr kommen.
Als Hannah aufstand, bot Jahwe ihr Seine Hand an und half ihr auf die Füße. Das war unerhört und Hannah errötete.
Jetzt war es Zeit, sich in den Garten und zum Pavillon zu begeben. Jahwe trat ohne Hilfe vom Teppich auf die Straße und ging auf das Tor zu. Während Er den Zaun passierte, der verhinderte, dass die Wiese sich zur Straße hin ausdehnte, fingen alle Schafe spontan zu singen an.
Domine Deus, Kyrie eleison.
Rex coelestis, Kyrie eleison.
Deus Pater, Kyrie eleison…
Jahwe winkte ohne hinzuschauen. Erbarmen ließ Ihn in diesem Augenblick kalt.
Bei den Toren hielt Er an und wartete, bis Noah neben Ihm war. Das dachte man wenigstens. Aber als Noah und seine Familie sich neben Jahwe stellten, entdeckten sie zu ihrem Entsetzen, dass Er weinte.
Noah sagte: »Herr, geht es Euch nicht gut?«
Jahwe suchte vergebens nach Seinem Taschentuch. Sofort zauberte Hannah ein sauberes Stück weißes Linnen hervor und reichte es Ihm und Jahwe putzte Sich die Nase und betupfte sich die Wangen. Aber die Tränen flossen noch immer.
»Wir sind nicht krank, das ist es nicht«, sagte Er. »Wir sind nicht krank. Es ist die Anstrengung vom schier endlosen Herumziehen durch die schrecklichen Städte, wochenlang, und dann… diesen Garten zu entdecken.« Er drehte sich um und betrachtete ihn, was zu noch mehr Tränen führte, bis Sein Bart schließlich nass war und Hannahs Linnen nicht mehr ausreichte.
Noah sah zu Mrs Noyes, die mit den Schultern zuckte.
Offensichtlich stand Jahwe kurz vor einem Nervenzusammenbruch – dort neben Noahs Tor, während die Schafe seinen Lobpreis sangen und die Wölfe aus Mitgefühl heulten.
»Euer Garten ist so schön«, wiederholte Jahwe. Er streckte einen Arm aus, suchte eine Hand und fand die von Hannah, die bereit war, Ihn zu stützen. »So schön… ach, meine Liebe«, sagte Er zu Hannah. »Ach, meine Liebe, Wir haben eine solche Reise gehabt – haben solche Schrecken gesehen und solche Unannehmlichkeiten ausgestanden…« Er wandte sich an Noah. »Siebenmal sind Wir einem Attentat zum Opfer gefallen. Siebenmal getötet… und du, Mein alter Freund, du weißt so gut wie Wir, welche verzweifelten Methoden Man anwenden muss, um sich wiederzubeleben…«
Noah nickte. »Obwohl ich nicht das Geschick meines Herrn habe«, sagte er, »erkenne ich die unendliche Sorgfalt, mit der mein Herr sich auf solche Ereignisse vorbereiten muss. Die Wiederbelebung der Toten – besonders wenn wir selber die Toten sind – gehört zu den anstrengendsten Prozeduren im ganzen Kanon. Und siebenmal, sagt Ihr?…«
»In der Tat«, seufzte Jahwe. »Siebenmal tot – dazu zahllose Wunden. Wir können die Wunden nicht zählen, so viele waren es. Hier und hier und da und da…« Mit Seinem knochigen Finger stocherte Jahwe auf Seiner Brust, Seinen Armen, Seinem Oberschenkel, Seinem Hals herum. »Und hast du Unsere Kutsche gesehen? Schwerter und Äxte – Steine und Feuerbrände – Gemüse, Obst und Eier und…« Jahwe suchte nach einem angemessenen Wort und stammelte:
»… Fäkalien …«
Noah schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Auf »Fäkalien«.
»Wir sind jetzt die Zielscheibe des Spotts der Welt, mein lieber alter Freund. Mitten auf den Straßen verachtet und verhöhnt. Angegriffen. Wir können nicht sagen… Wir können nicht sagen…«
Jahwe sah nochmals zum Garten hin. »Aber dieser – dieser Zufluchtsort. Welche Freude, von dir an diesem Ort willkommen geheißen zu werden. Lass uns jetzt hineingehen.«
Noah führte Gott zum blauen Pavillon, wo es wegen der Zeltwände und der Schüsseln voll Eis kühl war. Sem und Japeth blieben im Hof zurück, um das Tränken und Füttern der vielen Tiere in ihren Käfigen, auch der Maultiere und der Pferde und der Hunde zu organisieren, während Mrs Noyes und Emma sich in die Küche zurückzogen.
Hannahs Hand lag noch immer auf Gottes Arm, wo Er sie offensichtlich haben wollte.
Als Jahwe und Seine Gesellschaft sich wegen ihrer Müdigkeit, Niedergeschlagenheit und Erschöpfung in den Pavillon zurückgezogen hatten, stieg der Tag um sie herum auf wie ein Flammenmeer und alles und jeder verfiel in Trägheit. Noah blieb im Pavillon neben der deprimierten und erschöpften Gestalt seines alten Freundes sitzen, der in einen unruhigen Nachmittagsschlaf fiel. Es roch weiterhin nach Staub und Pastillen und Spinnweben, obwohl Hannahs
Weitere Kostenlose Bücher