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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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dass sie sie tötete. Mottyl hätte damit zufrieden sein sollen, dass Ham und die Engelin glücklich waren. Sie hatte viel Mitgefühl mit Luci – mit jedem, der so viel Angst vor Hunden hatte, musste man einfach Mitleid haben. Und sie war ziemlich sympathisch – sogar wirklich liebenswürdig –, eine große Verbesserung, verglichen mit Hannah zum Beispiel. Aber irgendetwas stimmte nicht – irgendetwas an ihr war beunruhigend. Die Tatsache, dass sie ein Engel war – und es leugnete, es vor Ham verbarg. Und wenn sie in dieser Hinsicht log – könnte es dann nicht noch andere Lügen geben? Entsetzliche Lügen, die vielleicht mit dem Grund zu tun hatten, warum sie da war –, und warum sie jetzt da war, zur Zeit von Jahwes Anwesenheit.
     
     
    Nachdem Japeth seine Gastgeberpflichten, das heißt das Füttern und Tränken der Tiere in der Karawane, erfüllt hatte – und nachdem er Jahwes Gefolgsleuten den Weg zum Fluss und den Kutschern die Wiesen gezeigt hatte, damit alle geflügelten Pferde zum Grasen auf die Weide gebracht werden konnten –, schlenderte er den Berg hinauf, dem Pavillon zu.
    Aber es war kein zielloses Schlendern.
    Was Japeth beschäftigte, war Michael Archangelis – eine Gestalt von solcher Herrlichkeit, dass sie alle Vorstellungen seiner Träume weit übertraf. Die Größe des mächtigen Engels, seine Stärke, seine goldenen Haare und seine Rüstung boten die strahlendsten Bilder von Männlichkeit, denen Japeth je begegnet war.
    Nur einmal war ihnen jemand annähernd gleichgekommen – aber damals war es eine finstere Männlichkeit gewesen, keine goldene; eine schreckliche, nicht glorreiche.
    Es war auf der Straße zu den Städten gewesen – an dem Tag, an dem er angegriffen und fast zu Suppe gekocht worden war. Die ihn angegriffen hatten – Rüpel und Terroristen –, wurden von einem Riesen angeführt, dessen Statur zwar nicht gigantisch, dessen Macht über seine Günstlinge allerdings höchst bewundernswert war. Gerade wegen seiner mangelnden Statur umso bewundernswerter.
    Er hatte dort gestanden – dieser Mann –, die Arme in die Hüften gestemmt, beide Hände zu Fäusten geballt, die Daumen in einen breiten, mit Nieten beschlagenen Gürtel eingehakt. Seine Beine, die nackt waren, hatten einen riesigen Umfang, und seine Brust strotzte durch seine offene Tunika, als führe sie ein Eigenleben. Seine Augen waren winzig und schwarz und seine Haare wild und lockig, die Ohren standen wie gekräuselte Speckstreifen daraus hervor, verbrannt und an den Rändern schwarz, als wären sie am Verfaulen. Seine Zähne – erschreckend weiß – waren dennoch fast bis aufs Zahnfleisch abgewetzt: die winzigsten Zähne, die Japeth je gesehen hatte.
    Seine Günstlinge trugen gestohlene Kleidung – kein Stück passte, und jedes war dreckig –, und etliche der Kleidungsstücke bestanden aus einzelnen Uniformteilen – rote Röcke und blaue Jacken und Hosen mit Goldborte. An Seilen zogen sie einen zweirädrigen Karren, der mit großen eisernen Töpfen und Dreifüßen beladen war – und darüber hinaus mit einer gewaltigen Sammlung zusammengewürfelter Reichtümer, die aus den Städten stammen mussten: silberne Kerzenleuchter – Suppenterrinen aus Porzellan, Kristallvasen und goldene Kelche – das Ganze zwischen große Fetzen eines Wandteppichs gestopft, der die Ermordung Abels durch Kain darstellte –, darunter auch Bündel und Ballen von Samt und mit zwanzig Farben eingeschossenem Satin. Die Günstlinge selbst aber hatten lange struppige Haare und schwarze Fingernägel und dreckige Knie. Einige unter ihnen waren – zu Japeths Entsetzen – Frauen.
    Trotz all der Streifzüge mit seinen Wölfen und all der Wildschweinjagden mit seinen Freunden im Drachenverein war Japeth noch nie einem anderen Menschen begegnet, dessen ganze Existenz der Gewalt gewidmet war. Er hatte noch nie Männer und Frauen wie diese gesehen, die ihn von dem Karren aus anglotzten, den sie ihm so plötzlich in den Weg gestellt hatten. Noch nie hatte er weder Atem wie diesen gerochen, den ihm die lüstern schielenden Frauen ins Gesicht bliesen – noch Schweißgeruch erlebt, wie ihn die höhnisch grinsenden Männer verströmten. Auch hatte er noch niemals so viel Angst vor einem anderen Menschen gehabt wie vor ihrem Anführer. Fremde waren Japeths Spezialität. Doch noch nie hatte ihn jemand mit einer solch anstößigen Absicht berührt wie dieser Rüpelkönig, dessen Finger große stumpfe Sonden waren – sie wanderten mit der

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