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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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Drachensafari war – ob jemand auf Drachenjagd gewesen war und die Drachen lebend mit nach Hause nahm. Ihr war der Appetit gänzlich vergangen, und sie schob den Rest der Maus beiseite.
    »Sind es Drachen, Krähe? Sag mir, ob es Drachen sind!…«
    »Nein, keine Drachen, Katze. Aber ich sehe einen Kopf – von etwas… etwas, das ich noch nie gesehen habe. Einen riesenlangen goldenen Kopf – mit Flecken und kleinen Hörnern und Ohren… es hat den längsten Hals der Welt und jetzt hebt es den Kopf…« Krähes Stimme zögerte, heiser vor Angst.
    Plötzlich stieß die große Vogeldame zu ihr herunter – die Augen vor Schreck geweitet. »Ich glaube«, stammelte sie fast atemlos, »ich glaube… dieses Vieh, was es auch immer sein mag… ich glaube wirklich, es könnte den Kopf hoch genug heben, um mich mitten in der Luft zu fangen… und sein Maul war ungeheuerlich…«
    »Hast du die Zähne gesehen?«, wollte Mottyl wissen. Zähne waren äußerst wichtig.
    »Würdest du dir noch Zeit nehmen, die Zähne anzuschauen, wenn es vom Käfig aus auf dich zukommt? Ich bin nicht blöd, Katze. Nicht blöd…«
    Krähe rückte weiter auf ihrem Ast, bis ihr Flügel den Baumstamm berührte. »Ich glaube, ich werde eine Weile einfach hier sitzen bleiben und verschnaufen.«
    Mottyl ließ die halb gefressene tote Maus liegen und wandte den Kopf zum Waldrand. Die Trommeln und das Rumpeln der Räder hatten jetzt eine Lautstärke erreicht, die alle Blätter zum Zittern brachte und eine große Schar Spatzen, Stare und Schwalben in die Luft aufsteigen ließ.
    »Fliegt nicht!«, schrie Krähe ihnen zu; plötzlich war sie fast hysterisch. »Nicht! Ihr dürft nicht fliegen! Nicht fliegen!«
    Aber es war zu spät. Alle Vögel im Wald waren bereits aufgeflogen und befanden sich in der Luft über den erstickenden Staubwolken.
    »Langhals wird sie kriegen«, brummte Krähe in ihrem Winkel. »Langhals wird sie kriegen… wart nur ab!…«
    Mottyl ließ sie brummen und schimpfen und ging auf den Lichtstreifen jenseits der Bäume zu. Andere Laute hatten sich den Trommeln und Rädern beigesellt… Stimmen jetzt und Zurufe… Lieder. Jahwe war angekommen.
    Unten auf dem Waldboden hatte ein großer grüner Käfer die Maus an den Eingeweiden gepackt und schleppte sie jetzt unter das Moos, und als beide im Loch verschwanden, starrten die toten schwarzen Augen und die steifen ausdrucksvollen Zehen zeigten zum Himmel.
    Neben der Straße im hohen Gras der Wiese hatten sich die Widder und die Mutterschafe an den Zaun gedrängt und begannen jetzt zu singen:
     
    Gloria in excelsis Deo!
    Et in terra pax hominibus bonae voluntatis!
     
    Ehre sei Gott in der Höhe!
    Und auf Erden Friede den Menschen,
    die guten Willens sind …
     
    Langsam tauchte aus dem vom Kreisen der Pferdeflügel verursachten Wirbelwind eine große schwarze Kutsche auf. Die Jalousien waren heruntergezogen und eine hatte einen Riss, den man versucht hatte zu reparieren. Die Lederhaut, mit der das Kutschengestell vor vielen Jahren überzogen worden war – die glänzende Haut, die Noah vom allerersten Mal noch kannte, als Jahwe als unerwarteter Gast auf der Suche nach Verfechtern der heiligen Sache gekommen war –, war von Steinen aufgeschlitzt und vom Schlamm der Flüsse beschmiert worden, die Jahwe und sein Gefolge überquert hatten. Auch mit Resten von Kot, Eiern und verfaultem Gemüse war sie befleckt, was Noah sich nicht erklären konnte. Die Räder der Kutsche waren alt und beschädigt; die Hartgummireifen waren bis auf die Stahlfelgen abgefahren und viele Speichen fehlten. Der Rock des Kutschers war mehlweiß vom Staub und Sand des Wirbelwindes, und sein Gesicht trug Spuren vom Dreck der Straßen. Seine Schutzbrille war beschlagen und hatte Sprünge; es war ein Wunder, dass er während des letzten Teils der Fahrt überhaupt noch etwas hatte sehen können. Er war ein Mann in mittleren Jahren und wurde täglich mit einem Ochsen gemästet, den er mit einem Fass Bier hinunterspülte – der stärkste Mann auf Erden, wie Jahwe gerne behauptete. Als er jetzt aufstand, um die Pferde zu zügeln, war sein Rock zu Zement geworden und von der Krempe seines Huts regnete es Kieselsteine.
    Ein Augenblick war nichts zu hören außer dem Zischen und Prasseln des Kieselregens, dem Knarren uralten Zaumzeugs und dem Schnauben der Pferde. Dann endlich Stille.
    Emma wagte es, ihren Blick nach oben zu richten und sah, wie die Lakaien wie zwei auseinander stiebende Puderquasten von ihrem Bock am

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