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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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»Willst du immer noch, dass ich weitererzähle?«
    Noah murrte. »Mach Schluss!«, sagte er. »Bringen wir es hinter uns!«
    »Gut«, sagte Mrs Noyes zu Emma: »Jetzt kommst du an die Reihe. Du und Lotte.«
    Emmas Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie war jetzt äußerst misstrauisch und fragte sich, was in aller Welt als Nächstes kommen würde.
    »Ich war’s, fürchte ich, die Lotte als Erste sah«, sagte Mrs Noyes. »Und – wie eine Närrin – konnte ich es nicht für mich behalten. Es war eben so großartig, nach so langer Zeit noch ein Kind zu sehen, das genauso war wie Japeths Bruder…«
    »Wo ist Japeths Bruder?«, fragte Emma; sie blickte über die Schulter, als wäre er vielleicht plötzlich aufgetaucht.
    »Das erzähle ich dir gleich. Aber zuerst muss ich das mit dir und Lotte erklären. Sonst verstehst du nicht, was mit Japeths Bruder passiert ist – und, weiß Gott, vielleicht wäre es besser, du würdest es nicht verstehen.«
    Beim Namen Gottes zuckte Noah zusammen. Automatisch.
    »Also«, sagte Mrs Noyes: »Als ich sie sah – Lotte –, rannte ich den Berg hinauf – ich war so aufgeregt – ich rannte die ganze Strecke den Berg hinauf bis nach Hause und erzählte es gleich Noah: ›Es gibt noch einen!‹, sagte ich. ›Noch einen…‹«
    Noah unterbrach sie wütend: »Das Kind hatte keinen Namen!«
    »Oh doch«, sagte Mrs Noyes. »Du weißt verdammt gut, dass er einen Namen hatte. Er hieß Adam.«
    »Hör auf damit!«
    »Er hieß Adam«, sagte Mrs Noyes. »Und – als ich Lotte sah, hatte ich meinen Adam wiedergesehen, und ich habe es dir gesagt! Ich habe es dir gesagt…« Sie wartete einen Augenblick, bis sie sich wieder gefasst hatte. »Na ja… ich hätte es ihm nicht sagen sollen. Ich hätte es für mich behalten sollen, wie deine Eltern verlangt hatten, die wollten, dass es geheim bliebe. Aber ich hatte sie unten am Fluss gesehen – als sie spazieren gingen – und Lotte zwischen ihnen. Sie sahen so glücklich aus… Nein. Nicht glücklich. Traurig. Traurig. Und mein Herz flog ihnen zu – mein Herz war gebrochen und ich dachte, wie wunderbar es sei, dass es Leute gab, die den Mut und den Stolz… die genug Liebe hatten, um ein solches Kind zu behalten. Und ich dachte: Noah verdient es zu wissen, dass es noch eins gibt. Er verdient es zu wissen, dass andere Leute solchen Kindern das Leben ermöglichen. Dass wir Unrecht haben. UNRECHT!«, schrie sie Noah an. »Unrecht!«
    Er wandte sich ab – stumm.
    Emma wartete – vielleicht konnte sie erraten, was mit Adam geschehen war – sie wusste aber noch nicht, was es mit ihr und ihrer Ehe mit Japeth zu tun hatte.
    Mrs Noyes verriet es ihr.
    »Ich hätte es Doktor Noyes nicht sagen sollen«, sagte sie. »Ich werde es mir nie verzeihen – und es tut mir Leid. Ich hatte vergessen, wer er ist. Und…« Sie hielt inne. »Es tut mir Leid – weil Lotte der Grund ist, warum wir dich als Japeths Frau ausgesucht haben. Als Noah von Lotte erfuhr, hatte er zuerst Angst. Das Auftauchen von anderen Kindern, die so waren wie das unsere, hätte bedeuten können, dass sich vielleicht jemand erinnern würde – obwohl er genau wusste, dass es niemanden gab, der sich erinnern könnte. Niemand außer mir – und natürlich ihm selbst… Aber er dachte eine ganze Nacht hindurch an Lotte: Die ganze Nacht hindurch dachte er an Lotte. Der nächste Morgen kam – ich wusste genau, dass er nicht geschlafen hatte – und er kam in die Küche und sagte zu mir: ›Du kennst die Leute mit diesem Kind?‹ Und ich sagte: ›Natürlich. Er bringt mir das Holz. Sie klöppelt meine Spitzen.‹ Ich fragte, warum er es wissen wollte. Und er sagte: ›Das geht dich nichts an…‹ Das geht dich nichts an. Du lieber Gott – ich sollte dir niemals verzeihen«, sagte sie zu Noah. Dann, zu Emma gewandt: »Wir gingen dann hinüber zu ihnen – und er bat darum, die Töchter deines Vaters zu sehen. Er wusste natürlich, dass man Lotte nicht herzeigen würde. Aber das machte nichts. Was er wissen wollte, war: Gab es rein zufällig eine Tochter im heiratsfähigen Alter für Japeth – unseren Sohn? Und das warst du.«
    »Warum?«, fragte Emma. »Warum?«
    »Das ist eigentlich sehr einfach«, sagte Mrs Noyes. »Als wir den Berg hinuntergingen und über den Fluss setzten, erzählte er mir alles: seinen großen Plan – diese Verschwörung. Wenn Japeth – dessen Zwilling so wie Lotte war – ein Mädchen heiraten würde, dessen Eltern ein Kind wie unseren Adam auf die Welt gebracht

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