Die letzte Flut
hatten – dann würde man die Schuld an zukünftigen Lottes und Adams nicht bei uns suchen: bei Noah Noyes und seiner Frau – beim Vertrauten Jahwes – beim echten Erben des Namens des Alten Adam. Und da Japeth am ehesten ein Lotte-Kind – ein Adam-Kind – zeugen würde, musste man Lottes Schwester Emma den Hof machen und sie einfangen, koste es, was es wolle. Wenn dann ein Kind auf die Welt kam – würde es deins sein – nicht Japeths. Dein Blut, nicht seins; deine Abstammung… dein Defekt… deine Schuld… deine Verantwortung. Und deine Pflicht, das zu tun, was getan werden muss.«
Emma zitterte. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, obwohl sie die Schreie – Schreie der Angst und der Verwirrung –, die aus ihr herausdrängten, noch zurückhielt. »Was?… Was bedeutet das: ›Was getan werden muss‹?«, fragte sie.
»Was wir mit Adam getan haben. Deine Eltern haben sich geweigert, dasselbe mit Lotte zu tun.«
Emmas Blick erstarrte.
Mrs Noyes schloss die Augen und drückte Lotte eng an sich. Das Kind war fast eingeschlafen, und sie schaukelte es ein bisschen hin und her, bevor sie weitersprach. »Wir haben ihn getötet«, sagte sie. »Ich habe es getan…« Sie schaute Noah an. »Wir haben es getan.«
Regen.
Und die ungestellte Frage: wie?
Mrs Noyes schaute auf Lotte hinunter und legte die Hand über ihre Ohren. »Wir haben ihn ertränkt«, sagte sie. »Nicht unten im Fluss. Er war damals nicht tief genug. Wir haben ihn im Teich ertränkt. Keiner sonst wusste es. Japeth war noch ein Baby, einen Tag alt. Und Sem und Ham… schickten wir weg. Sie haben ihn also nie gesehen. Und keiner von ihnen weiß es, bis heute.« Mrs Noyes schaute jetzt zu Noah…: »Außer natürlich Emma sagt es ihnen.«
Doktor Noyes verlor merklich an Haltung. Er sackte förmlich zusammen.
»Sie braucht es nur einmal herausplatzen zu lassen… dann sind all deine klug ausgeheckten Pläne für die Katz gewesen. Allerdings bin ich sicher – wenn Lotte an Bord wäre, hätte Emma nichts zu sagen. Und wenn ein solches Kind auf die Welt kommt, was der Fall sein kann – oder aber nicht –, dann wird die Ursache offensichtlich sein. Das ist mein Angebot, Noah. Und ich glaube, dass auch Emma um Lottes willen auf diesen Handel eingehen wird.«
»Ja«, sagte Emma. »Ja, ich bin einverstanden.« (Sie begriff das alles zwar noch nicht ganz, hatte aber genug erfahren, um zu kapieren, dass das, wozu sie ja sagte, Lottes Leben retten würde, und nur das zählte.) »Oh ja«, sagte sie, »ich bin einverstanden.«
Doktor Noyes hatte noch immer nichts gesagt.
Jetzt blickte er auf seine Frau herab – und endlich meinte er: »Na gut. Du hast gewonnen, meine Liebe. Du darfst das Kind an Bord bringen.«
Mrs Noyes traute ihren Ohren nicht. Sie hatte nicht mit einem Sieg gerechnet.
»An Bord?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Noah. »Bring sie an Bord – aber vorläufig noch nicht unter Deck. Du musst mir Zeit geben, es unseren Söhnen zu sagen. Ich muss eine Ausrede suchen, warum ich das Edikt missachte.« Fast zärtlich schaute er Lotte an, die jetzt in den Armen seiner Frau fest schlief. »Ich werde sagen, es habe einen Todesfall gegeben. Das werden sie verstehen. Ich werde sagen, es habe einen Todesfall gegeben und… dieses Kind (wie er das Wort aussprach, klang nach Widerwillen – fast nach Abscheu)… an Bord dürfe als ein…«
»Ersatz«, half Mrs Noyes nach.
»Ja, ja. Ein Ersatz. Sie werden verstehen. Sie werden verstehen müssen.«
Als er ausgeredet hatte, wurde Noah wieder ganz der Alte – seine Haltung war wieder gerade, vielleicht richtete er sich auf die Begegnung mit seinen Söhnen ein – und er nahm den schwarzen Regenschirm aus Emmas Händen und ging damit zur Eingangstür unter der Markise zurück. »Ich werde nur einen Augenblick brauchen«, sagte er. »In der Zwischenzeit darfst du sie an Bord bringen.«
Er verschwand in die Finsternis hinter der Tür und Emma brach in Freudentränen aus.
»Schhh… schhh… schhh«, machte Mrs Noyes. »Wir dürfen sie jetzt nicht wecken. Lass sie schlafen – und wenn sie aufwacht, wird sie drinnen in Sicherheit sein.«
Emma strahlte vor Freude und putzte die Nase und wischte sich die Augen, dann ging sie über das Deck zu der Öffnung, wo der Landungssteg war.
Mrs Noyes – die sich wie ein ganzer Siegeszug fühlte – stapfte durch den Schlamm und die Pfützen und ging, Lotte fest gegen ihre Brust gedrückt, den Landungssteg hinauf. Wenn nur Mottyl da wäre, dann gäbe
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