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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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Hannah zu folgen, waren sie noch an Deck, als Japeth mit Lottes Leiche herauskam.
    Noah sagte: »Gib sie deiner Mutter! Lass sie trauern! Du – geh und reinige dich! Du hast Blut im Gesicht und an den Armen.«
    Japeth schob Mrs Noyes die Leiche zu.
    Mrs Noyes stand mit dem Rücken an der Wand, wo Noah sie hingeschleudert hatte. Wortlos – lautlos – nahm sie Lotte an sich und fiel auf die Knie, das Kind und sein Blut an den Schürzen auf ihrem Schoß. Das Baumwollkleid war zerrissen – und der weiche weiße Kragen scharlachrot. Mrs Noyes legte das Kind so, dass sein Kopf an ihrem Herzen lag – sie hielt es, ohne sich zu bewegen – und starrte auf den Regen.
    Emma konnte – ausnahmsweise – überhaupt nicht weinen. Sie lief ein paar Schritte und blieb am Bug der Arche stehen; der einzige Laut, den sie hervorbrachte, war eine Art Lied.
    Doktor Noyes ging einfach weg; er zog sich in seine Kajüte zurück.
    Nach etwa einer halben Stunde war drinnen Lärm auf der Treppe zu hören und Ham kam auf das Deck gerannt.
    »Mutter?…«
    Er stand vor ihr – kniete sich vor sie hin – wollte ihre Hände nehmen.
    Mrs Noyes konnte ihm nur zuflüstern. »Bitte«, sagte sie, »versteh doch; versuch nicht mich zu trösten, während die Toten in meinen Armen liegen.«
    Ham lehnte sich auf die Fersen zurück und blieb im Regen hocken. Er wollte so lange wie nötig wachen und warten.
    Luci kam auch – mit ihrem zerfetzten Papiersonnenschirm –, stellte sich neben ihn und schaute Mrs Noyes und Lotte mit ihrem seltsamen grünen Blick an. Ihr langes, federngeschmücktes Kleid war nicht einmal nass – trotz der vielen Löcher im Sonnenschirm –, ihr knochiges Gesicht allerdings war mit schwarzer Wimperntusche verschmiert.
    Endlich stand Mrs Noyes auf (und Ham) und hob das Kind dem Regen entgegen.
    »Es gibt keinen Gott«, sagte sie. »Es gibt keinen Gott, der dieses Kindes würdig wäre. Also gebe ich es an die Welt zurück, wo es hingehört.«
    Dann drückte sie Lotte wieder an sich und schritt mit einem Blick auf Ham und Luci, als Dank dafür, dass sie Wache gehalten hatten, zum Landungssteg und ging hinunter.
    »Ade«, sagte Ham. Doch es war nicht klar, ob das an seine Mutter oder an Lotte gerichtet war. Seltsamerweise hatte er nicht einmal laut gesprochen.
     
     
    Japeth reinigte sich mit Bürsten, mit Bimsstein und schließlich mit Asche. Es war sehr schmerzhaft – auch wenn seine Haut wegen des vielen Schrubbens, mit dem Bemühen, die blaue Färbung loszuwerden, gegen Schmerzen ziemlich immun geworden war.
    Er gehorchte, ohne darüber nachzudenken; so war er schon immer gewesen. Als sein Vater ihm also sagte, er müsse sich reinigen, tat er es ohne Protest. Er hielt es allerdings für seltsam, dass man so viel Getue machte. Schließlich hatte er nur einen Affen getötet. Und ein Affe war nur ein Tier. Nichts Menschliches.
     
     
    Mrs Noyes trug Lotte den Berg hinunter zum Gebäudekomplex – den ganzen Weg sprach sie zu ihr – hielt Lottes Kopf an ihre Brust, legte den Handballen gegen die Wunde und die Finger an Lottes Wange – und sie sagte: »Es regnet jetzt viel schlimmer als vorhin. Es gießt wie aus Eimern. Macht nichts. Nicht, wenn man durch den Fluss gegangen ist, nicht wahr? Du und ich – Veteranen der Flusskriege… Wer schert sich den Teufel darum, wenn es regnet? Ich nicht; du nicht. Er ist auch ganz heiß geworden – nicht wie der schöne Regen, den wir beide hatten, du und ich – und die Feen – den weichen, warmen Regen. War er nicht herrlich?« Sie fing an schneller zu gehen. »Wir laufen jetzt den Berg hinunter. Spürst du das? Hoppalahopp! Rirarutsch! Schwuppdiwupp, da kommen wir!«
    Mrs Noyes rutschte ein Stück den Pfad hinunter, der zu Schmiere geworden war – fing sich wieder und ging weiter; mit den Fersen trat sie Stufen in den Schlamm, da wo die Steine gelockert und dann weggespült worden waren. Bald war sie wieder unter den Bäumen – es war ihr Lieblingsabschnitt auf dem Weg zwischen dem Altar und den Gebäuden –, unter den breiten, hohen Zedern, wo Ham früher verschwunden war, um die Sterne zu beobachten; morgens kam er wieder zu ihr hinunter und breitete alles, was er gefunden hatte, auf dem Küchentisch aus: »Dies ist der Wolfsstern, Mutter – am Morgen rot, am Abend rot…« Jetzt waren alle Sterne weg.
    »Was kümmert das uns, Lotte? Warum soll uns das etwas ausmachen? Zur Hölle mit den ganzen Sternen!«
    Sie schielte durch die triefenden Bäume nach oben. »Warum

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