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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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es nichts mehr zu erkämpfen – und sogar die Gräuel der bevorstehenden Sintflut wären annehmbar.
    Als sie über die Schwelle trat und – endlich – dort stand, wo sie es nie für möglich gehalten hatte – an Bord der Arche, das Deck unter ihren Füßen –, küsste sie Lotte auf den Kopf und flüsterte: »In Sicherheit, endlich. Du bist endlich in Sicherheit – wie ich versprochen habe.«
    Sie hätte es besser wissen müssen.
     
     
    Als Noah auf das Deck zurückkehrte, kuschelten sich seine Frau und seine Schwiegertochter unter der Markise aneinander und das Kind schlief immer noch in Mrs Noyes’ Armen. Aber nicht seine Söhne kamen mit ihm, sondern die anscheinend allgegenwärtige Hannah, die eine Wolldecke trug und lächelte.
    »Die arme kleine Kreatur ist bestimmt durchnässt«, sagte sie zu Mrs Noyes, während sie über das Deck ging. »Lass mich sie nehmen und sie in dieser Decke wärmen!«
    »Nein«, sagte Mrs Noyes. »Ich halte sie lieber selbst.« Hannah wandte sich, Hilfe suchend, an Doktor Noyes. Aber der schien nicht beunruhigt zu sein. Vielleicht hatte er so eine Reaktion erwartet.
    »Wo sind Sem und Ham und Japeth?«, fragte Mrs Noyes. »Und Luci? Wo sind sie alle?«
    »Unter Deck«, sagte Doktor Noyes; er verscheuchte den bloßen Gedanken an sie. »Ich dachte, du würdest dich über die Decke freuen, meine Liebe. Eine sehr aufmerksame Geste von Hannah – du solltest sie nicht zurückweisen. Ich hätte gedacht – unter den Umständen…«
    Er schaute seine Frau auf eine Weise an, die ihr bedeuten sollte, dass ihre List nicht funktionieren würde, wenn sie das Kind Hannah nicht aushändigte.
    »Lass sie doch das Kindchen nehmen«, sagte er mit widerwärtiger Süße. »Schwester Hannah wird schließlich bald Mutter sein. Die Übung wird ihr gut tun…« Er lächelte seine dienstälteste Schwiegertochter an.
    Hannah lächelte zurück.
    Mrs Noyes, die sich über Hannahs Motive nie sicher war – nicht einmal, wenn sie lächelte –, fühlte sich dennoch gezwungen das zu tun, was von ihr verlangt wurde.
    Ganz zärtlich und umsichtig löste sie die Arme des Kindes von ihrem Hals, küsste es und hielt es Hannah und der Decke entgegen.
    Hannahs Mund öffnete sich.
    »Aber – es trägt ein Kleid!«, sagte sie.
    Ihre Überraschung bei dieser Entdeckung schien ganz echt zu sein. Aber Mrs Noyes war zu sehr darauf konzentriert, das Kind nicht zu wecken, als dass sie mehr hätte herausbringen können als: »Sei still! Wir müssen sie schlafen lassen.«
    »Natürlich«, sagte Hannah – nahm Lotte und wickelte die Decke um das noch schlafende Kind. Dabei tat sie eine Äußerung, die für Mrs Noyes noch seltsamer war als die anderen Bemerkungen, die sie von ihr, seit der Begegnung mit Lotte, vernommen hatte. »Ich hätte nie gedacht, dass sie so lieb sein können«, sagte Hannah. Wahrhaftig seltsam, dass eine schwangere Frau so etwas über ein Kind sagen sollte.
    Hannah trat zur Eingangstür und Mrs Noyes und Emma wollten folgen. Doch Doktor Noyes schritt dazwischen – mit ausgestrecktem Arm.
    »Was machst du?«, fragte Mrs Noyes.
    »Ihr müsst warten«, sagte Noah.
    Mrs Noyes geriet – schlagartig – in Panik.
    »Lass mich vorbei!«, sagte sie. »Lass mich vorbei!«
    Sie schlug mit Fäusten auf den Arm, sogar auf das Gesicht ihres Mannes ein und schrie in Richtung Emma: »Lass nicht zu, dass Hannah sie nimmt! Halt sie auf! Halt sie auf!«
    Doktor Noyes stellte Emma ein Bein, als sie vorbei wollte, und seine Frau schleuderte er hinter sich, mit einem Schlag, der sie gegen die Wand schmetterte. Seit der Tötung der Tiere hatte es nicht mehr so viel Gewalt gegeben – und das aus gutem Grund. »O Gott!«, schrie Mrs Noyes lauthals. »O Gott! O Gott!… «Sie zerriss sich fast die Stimmbänder. »O GOTT!«
     
     
    Japeth tötete sie.
    Und auch wenn Mrs Noyes es ihr niemals verzeihen würde – Hannah war am Geschehen nicht beteiligt gewesen. Sie hatte nur getan, was man ihr gesagt hatte, und Lotte, in die Decke eingewickelt, durch die Tür getragen.
    Japeth hatte – wie sein Vater befohlen hatte – vor den Augen seiner Mutter und Emmas verborgen, gewartet und sobald Hannah drinnen war, ihr Lotte weggenommen und, während sie schlief, den Hals aufgeschlitzt. Hannah erlitt einen Schock, da das Kind vor ihren Augen umgebracht wurde, und man fürchtete, sie würde ihr Kind verlieren. Sie sperrte sich in ihre Kajüte ein und sprach zwei Tage lang nicht.
    Da man Mrs Noyes und Emma daran gehindert hatte,

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