Die letzte Generation: Roman (German Edition)
Erstausgabe von 1953 weiter.
ERSTER TEIL
Die Erde und die Overlords
1
B evor sie zur Startrampe flog, ging Jelena Ljachowa jedes Mal das gleiche Ritual durch. Unter den Kosmonauten, die so etwas taten, war sie nicht die Einzige, obwohl nur wenige darüber sprachen.
Es war bereits dunkel, als sie das Verwaltungsgebäude verließ und an den Kiefern vorbeiging – bis sie die berühmte Statue erreichte. Der Himmel war kristallklar, und vor kurzem war ein strahlender Vollmond aufgegangen. Automatisch konzentrierte sich Jelenas Blick auf das Mare Imbrium, und sie dachte an die Wochen des Trainings in der Armstrong-Basis zurück – die heutzutage als »Kleiner Mars« bekannt war.
»Du bist gestorben, bevor ich geboren wurde, Juri – damals, während des Kalten Krieges, als unser Land noch unter dem Schatten Stalins lag. Was hättest du gesagt, wenn du all die fremden Sprachen hören könntest, die heute im Sternenstädtchen gesprochen werden? Ich glaube, du wärst sehr glücklich gewesen ... Ich weiß, dass du glücklich gewesen wärst, wenn du uns jetzt sehen könntest. Inzwischen wärst du ein alter Mann, aber du könntest noch am Leben sein. Welch eine Tragödie, dass du – der erste Mensch im Weltraum – nicht mehr erleben konntest, wie Menschen auf dem Mond spazieren gehen! Aber auch du musst vom Mars geträumt haben ... Und nun sind wir bereit, hinzufliegen und das Neue Zeitalter zu eröffnen, von dem Konstantin Ziolkowski bereits vor hundert Jahren geträumt hat. Wenn wir uns wiedersehen, werde ich dir viel zu erzählen haben.«
Sie befand sich bereits auf dem Rückweg zu ihrem Büro, als ein Bus mit einer Ladung verspätet eingetroffener Touristen anhielt. Die Türen öffneten sich, und die Passagiere strömten mit schussbereiten Kameras heraus. Der Stellvertretenden Kommandantin der Mars-Expedition blieb nichts anderes übrig, als ihr öffentliches Lächeln aufzusetzen.
Doch bevor auch nur ein Foto von ihr gemacht werden konnte, riefen plötzlich alle durcheinander und zeigten auf den Mond. Jelena drehte sich um und sah gerade noch, wie er hinter dem gigantischen Schatten verschwand, der sich über den Himmel schob. Und zum ersten Mal in ihrem Leben fürchtete sie Gott.
Der Missionskommandant Mohan Kaleer stand auf dem Kraterrand und blickte über das Meer aus gefrorener Lava zum fernen, gegenüberliegenden Rand der Kaldera. Es war kaum möglich, den Maßstab der Szene zu erfassen oder sich die Gewalten vorzustellen, die hier getobt hatten, das wogende flüssige Gestein, das die Wälle und Terrassen geschaffen hatte, die sich vor ihm ausbreiteten. Doch alles, was er hier sah, war winzig im Vergleich zu jenem gewaltigen Vulkan, vor dem er in einem knappen Jahr stehen würde. Kilauea war lediglich ein maßstabgerecht verkleinertes Modell von Olympus Mons, und das Trainingsgelände hatte im Grunde nicht das Geringste mit der Wirklichkeit zu tun.
Er erinnerte sich an die berühmte Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu Anfang des 21. Jahrhunderts, in der er Kennedys Versprechen der Mondlandung aufgegriffen und verkündet hatte, dass dies das »Jahrhundert des Sonnensystems« sei. Bevor das Jahr 2100 angebrochen war, so hatte er zuversichtlich vorhergesagt, würden Menschen sämtliche größeren Himmelskörper besucht haben, die die Sonne umkreisten, und auf mindestens einem von ihnen dauerhaft leben können.
Die Strahlen der soeben aufgegangenen Sonne fingen sich in den Rauchschwaden, die aus den Rissen in der Lava strömten, und Dr. Kaleer fühlte sich an den Morgennebel erinnert, der sich im Labyrinth der Nacht sammelte. Ja, er konnte sich vorstellen, bereits auf dem Mars zu sein, gemeinsam mit seinen Kollegen aus einem Dutzend verschiedener Länder. Diesmal würde das Ziel von keiner Nation im Alleingang erreicht werden – und es hätte auch keine im Alleingang geschafft.
Er kehrte zum Hubschrauber zurück, als ihn eine Vorahnung, vielleicht eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte, innehalten ließ. Verdutzt sah er wieder in den Krater. Es dauerte eine Weile, bis er daran dachte, den Blick zum Himmel zu heben.
Dann erkannte Mohan Kaleer, genau wie im selben Augenblick Jelena Ljachowa, dass die Geschichte der Menschheit in eine völlig neue Phase eingetreten war. Die glänzenden Monstren, die jenseits der Wolken schwebten, in einer Höhe, die er sich nicht vorzustellen wagte, ließen die kleine Gruppe von Raumschiffen, die sich am Lagrange-Punkt versammelt
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