Die letzte Generation
Dann schämte er sich seiner selbst. Eine solche Bitterkeit war unwürdig.
»Ich habe nur noch eine weitere Frage«, sagte er. »Was sollen wir mit unseren Kindern machen?«
»Freuen Sie sich an ihnen, solange Sie können«, erwiderte Raschaverak sanft, »sie werden Ihnen nicht lange gehören.«
Das war ein Rat, den man allen Eltern zu jeder Zeit hätte geben können, aber jetzt barg er eine Drohung und ein Grauen wie niemals zuvor.
5
Es kam die Zeit, da die Welt von Jeffreys Träumen nicht mehr deutlich von seinem Alltagsleben getrennt war. Er besuchte die Schule nicht mehr, und auch für Jean und George waren die Lebensgewohnheiten völlig verändert, wie sie es bald in der ganzen Welt sein würden.
Sie gingen all ihren Freunden aus dem Wege, als wäre es ihnen schon jetzt bewußt, daß bald niemand mehr Sympathie für sie haben würde. In der Stille der Nacht, wenn wenige Menschen unterwegs waren, machten sie zuweilen lange Spaziergänge. Sie waren sich jetzt näher als je seit den ersten Tagen ihrer Ehe, wiedervereinigt angesichts der noch unbekannten Tragödie, die sie bald überwältigen würde.
Zuerst hatten sie sich schuldbewußt gefühlt, weil sie die schlafenden Kinder im Hause allein ließen, aber jetzt sahen sie ein, daß Jeff und Jennifer sich selbst helfen konnten, weit besser als ihre Eltern es vermochten. Und natürlich würden die Overlords sie auch bewachen. Dieser Gedanke war beruhigend. George und Jean fühlten, daß sie mit ihrem Problem nicht allein waren, sondern daß weise und teilnahmsvolle Augen ihre Wache teilten.
Jennifer schlief: Kein anderes Wort konnte den Zustand beschreiben, in dem sie sich befand. Dem Aussehen nach noch ein Säugling, strahlte sie eine so beängstigende Kraft aus, daß Jean es nicht mehr ertragen konnte, das Kinderzimmer zu betreten.
Sie brauchte es auch nicht zu tun. Das Wesen, das Jennifer Anne Greggson gewesen war, hatte sich noch nicht voll entwickelt, aber selbst in seinem Verpuppungszustand beherrschte es seine Umgebung so weit, daß es selbst für seine Bedürfnisse sorgen konnte. Jean hatte nur einmal versucht, Jennifer zu füttern, ohne Erfolg. Das Kind zog es vor, zu selbstgewählten Zeiten und auf seine eigene Art Nahrung aufzunehmen.
Denn die Nahrung verschwand in ständigem, gleichmäßigem Strom aus dem Kühlschrank, und doch verließ Jennifer Anne ihr Bett nie.
Das Klappern hatte aufgehört, und das verschmähte Spielzeug lag auf dem Fußboden des Kinderzimmers, wo niemand es anzurühren wagte, weil Jennifer Anne es vielleicht wieder benutzen wollte. Zuweilen ließ Jennifer die Möbel sich bewegen, so daß sie merkwürdige Muster bildeten, und George kam es vor, als ob die selbstleuchtenden Muster an der Wand jetzt heller schimmerten als früher.
Jennifer machte keine Unruhe. Sie bedurfte der Hilfe und Liebe ihrer Eltern nicht mehr. Es konnte nicht mehr sehr lange dauern, und in dieser Zwischenzeit klammerten sie sich verzweifelt an Jeff.
Er veränderte sich ebenfalls, aber er kannte sie noch. Der Knabe, dessen Wachstum sie seit den formlosen Nebeln seines Werdens beobachtet hatten, verlor seine Persönlichkeit, löste sich Stunde für Stunde vor ihren Augen auf. Aber manchmal sprach er noch mit ihnen wie früher und redete von seinen Spielsachen und Freunden, als wäre ihm nicht bewußt, was vor ihm lag. Aber oft sah er sie auch nicht, und kein Anzeichen verriet, ob er ihre Anwesenheit bemerkte. Er schlief nicht mehr, sie jedoch mußten schlafen, obwohl sie das überwältigende Verlangen hatten, von diesen letzten verbleibenden Stunden möglichst wenige zu verschwenden.
Anders als Jennifer schien er keine übernatürliche Macht über körperliche Gegenstände zu besitzen, weil er, da er schon fast erwachsen war, ihrer weniger bedurfte. Seine Eigenart lag ganz und gar in seinem geistigen Leben, von dem die Träume jetzt nur einen kleinen Teil bildeten. Er stand stundenlang ganz still, mit festgeschlossenen Augen, als lausche er auf Töne, die niemand sonst hören konnte. In seinen Geist strömte von irgendwoher ein Wissen ein, das bald das halbgeformte Wesen, das Jeffrey Angus Greggson gewesen war, überwältigen und zerstören würde.
Die Hündin Fey saß neben ihm, blickte mit traurigen, verwunderten Augen zu ihm auf und schien zu fragen, wohin ihr Herr gegangen wäre und wann er zu ihr zurückkehren würde.
Jeff und Jennifer waren die ersten auf der Welt, aber bald waren sie nicht die einzigen. Wie eine Epidemie sich schnell von
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