Die letzte Jungfrau ...
herausfordernd an. “Fahren wir mit deinem Motorrad oder meinem?”
“Das ist gehupft wie gesprungen, da beide mir gehören.” Er runzelte die Stirn. “Dabei fällt mir auf, dass du ganz schön besitzergreifend bist. Du hast dir mein Motorrad angeeignet, dazu meine Tante und mein Haus. Warum eigentlich?”
“Ja, das ist die Frage. Die Antwort darauf musst du selber finden”, mischte Myrtle sich ein, bevor Annie etwas sagen konnte.
“Das werde ich bestimmt.” Er sah Annie an. “Also, kommst du?”
“Hast du vor, mir zu nahe zu treten, während wir in deinem Haus sind?”, erkundigte sie sich.
“Ich werde mir jedenfalls alle Mühe geben.”
“Aber Sam, ich habe dir doch immer eingeschärft, dass es nicht genügt, guten Willen zu zeigen, sondern dass man ihn auch in die Tat umsetzen muss”, ermahnte Myrtle ihn streng.
Das klingt ja, als wollte sie ihn ermutigen, dachte Annie ungläubig.
Sam lachte leise. “Ich möchte dich um nichts in der Welt enttäuschen, Tante Myrtle.”
“Genau darauf baue ich”, sagte Myrtle halblaut, nachdem Sam mit Annie die Küche verlassen hatte.
2. KAPITEL
Sam fuhr den schmalen Waldweg entlang, der von Myrtles Haus zu seinem Besitz namens Soundings führte. Annie war, ohne zu protestieren, aufs Motorrad gestiegen, hatte Sam die Arme um die Taille gelegt und sich an ihn geschmiegt.
Ganz wie in alten Zeiten, dachte er. Nur dass er es jetzt nicht genoss, wie sie sich an ihn presste, denn es weckte unbändiges Verlangen in ihm.
Was Annie wohl tun würde, wenn er einfach anhielt, sie vom Motorrad hob und sich mit ihr auf den weichen Boden legte? Würde sie mich hingebungsvoll umarmen oder empört schreien, überlegte Sam. Er nahm sich nicht die Zeit, es herauszufinden, sondern gab Gas und fuhr weiter. Nur Besonnenheit würde ihn letztlich ans Ziel bringen und ihn davor bewahren, den Verstand völlig zu verlieren.
Das Haus, das er von seinen Eltern geerbt hatte, stand am Sund, der die Insel vom Festland trennte. Es war umgeben von Marschland und bot einen herrlichen Ausblick auf die Meerenge, der bei Sonnenuntergang noch spektakulärer wurde. Früher hatte er, Sam, oft mit Annie auf der Terrasse gesessen und in den Abendhimmel geblickt — das hieß, falls sie ihrem Vater hatten entwischen können.
“Tut mir leid, dass der Rasen so ungepflegt ist”, entschuldigte Annie sich, während sie vom Motorrad abstiegen. “Ich hätte ihn schon längst mähen lassen sollen.”
Sam ließ sich nicht anmerken, wie stark die erotische Wirkung war, die sie auf ihn ausübte — jetzt sogar noch mehr als damals, und früher war er ein äußerst heißblütiger junger Spund gewesen. Dass er seine Empfindungen noch immer nicht unterdrücken konnte, fand er ausgesprochen grotesk.
“Warum kümmerst du dich überhaupt darum, Annie?”
“Ich bin nun mal dazu erzogen worden, mich auch um die Belange meiner Mitmenschen zu kümmern.”
Diese Feststellung machte ihn ärgerlich. “Richtig. Du bist ja eine Delacorte.” Er zögerte kurz und fügte hinzu: “Die Mitglieder dieser Familie waren schon immer äußerst selbstherrlich. Allerdings bist du ja jetzt die Letzte, die diesen Namen trägt.”
“Musst du mir immer wieder vorhalten, dass ich eine Delacorte bin?”, erwiderte Annie heftig.
Sam seufzte. “Tut mir leid, ich wusste ja nicht, dass es dich kränkt.”
“Vergiss es. Wir sollten lieber zur Sache kommen, sonst fragt Myrtle sich, was uns so lange aufhält. Wir beide haben ohnehin schon genug Anlass für wilde Spekulationen gegeben, oder?” Ohne eine Antwort abzuwarten, wies sie auf eine Stelle im Dach an der Nordseite. “Da hat ein Baum beim Umstürzen ein Loch hineingeschlagen.”
Sam überspielte seine Verärgerung und sagte ruhig: “Okay, gehen wir auf den Dachboden und sehen wir uns den Schaden genauer an.”
“Die Türen und die Fensterrahmen haben sich im Lauf der Jahre alle verzogen”, warnte Annie ihn. “Sie müssen unbedingt repariert werden, was du wahrscheinlich übernehmen kannst, während du hier bist. Natürlich müssen auch Strom und Wasser eingeschaltet werden. Beides braucht vermutlich nur ein, zwei Tage.”
Er erwiderte etwas Unverbindliches, während er die Haustür aufstieß, obwohl ihm klar war, dass Annie indirekt herauszufinden versuchte, wie lange er auf Delacorte Island zu bleiben gedachte. Da er es selbst nicht wusste, war es allerdings etwas schwierig, ihre Wissbegier zu befriedigen.
In der Eingangshalle blieb er kurz stehen, bis sich
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