Die letzte Jungfrau ...
vertrieben.” Annie lachte fröhlich. “Meine Güte, die hatten vielleicht einen Saustall hinterlassen!”
Ihr Lachen war ansteckend. “Das kann ich mir vorstellen.” Während er den Schaden am Dach genauer inspizierte, achtete er darauf, Annie nicht mehr zu nahe zu kommen. Sie zu verärgern gehörte nicht zu seinem Plan. “Danke, dass du dich so sorgfältig um alles gekümmert hast, mein Schatz”, sagte Sam schließlich.
“Hier oben sind die schlimmsten Schäden angerichtet worden”, erklärte sie ungerührt weiter. “Die Küche ist einmal bei Hochwasser überflutet worden, deshalb habe ich das Linoleum entfernt, damit sich kein Schimmel darunter bildet.”
“Sollte ich die Bodenbretter trotzdem ersetzen?”
“Die haben sich jedenfalls ziemlich verzogen”, gab sie zu. “Allerdings könntest du behaupten, das würde dem Haus einen besonderen Charakter verleihen — falls du dir die Reparaturkosten ersparen möchtest.”
“Das ist ein wirklich raffinierter Vorschlag. Dürfte ich auch sagen, von wem er stammt?”
“Meinetwegen”, erlaubte sie ihm großzügig. “Das wird die Leute sicher überzeugen.”
“Weil Sankt Annie es geäußert hat?”
Sie lächelte zögernd. “Ja, mein Wort zählt, und das ist manchmal ganz nützlich.”
Aber nicht immer, hörte er zwischen den Zeilen heraus. Annie zerrte wieder an ihrem Ausschnitt und fächelte sich Luft zu.
“Lass uns jetzt wieder nach unten gehen”, schlug Sam vor. “Du vergehst ja sonst noch vor Hitze.”
Nachdem er das Fenster geschlossen hatte, kletterten sie vorsichtig die steile Bodentreppe hinunter. Im Flur des ersten Stocks blieb Annie stehen. “Mir ist gerade eingefallen, dass du hier noch etwas sehen solltest.” Sie betrat das Zimmer, das direkt unter dem kaputten Teil des Dachs lag. Große Brocken Verputz waren von der Decke gefallen, und die Tapete hatte sich in langen Streifen von der Wand gelöst. “Darum muss man sich auch möglichst bald kümmern.”
Sie ging zum Fenster und öffnete es ohne Schwierigkeiten. Eine frische Brise strömte ins Zimmer, und Annie setzte sich, erfreut seufzend, aufs breite Fensterbrett.
“Diese Aussicht habe ich schon immer besonders gemocht.”
Früher hatte Sam sich oft ausgemalt, er und Annie würden hier ihr Leben gemeinsam verbringen, doch dieser Traum war ja vor sieben Jahren unvermittelt zunichtegeworden.
“Wahrscheinlich hättest du sie noch mehr genossen, wenn nicht immer die Gefahr bestanden hätte, dass dein Vater dir hierher nachkommt und dich gewaltsam nach Haus zurückbringt”, meinte Sam nachdenklich. “Er hatte Soundings doch förmlich zu einem Tabu erklärt.”
Ihre Augen glitzerten schalkhaft. “Richtig, und das hat mich erst recht dazu angespornt, hier bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu erscheinen.”
Sam biss kurz die Zähne zusammen. “Ich hätte dir das nicht erlauben sollen. Du warst wirklich viel zu jung.”
“Und bei dir in sicheren Händen.” Bestürzt sah sie ihn an, als ihr klar wurde, dass sie wieder einmal das Falsche gesagt hatte.
Ein heftiger Luftzug durchfuhr plötzlich das Zimmer und warf krachend die Tür zu. Einen Moment lang rührten sie beide sich nicht. Dann stand Annie auf, eilte zur Tür und versuchte, sie zu öffnen.
“Das darf doch nicht wahr sein”, sagte Annie halblaut.
Seufzend ging Sam zu ihr. “Was stimmt denn nicht?”
Sie rüttelte an der Klinke. “Die Tür geht nicht auf.”
“Wahrscheinlich klemmt sie wie alle Fenster und Türen in diesem Haus. Lass es mich mal versuchen.”
“Nein, ich schaffe das schon.” Heftig zog sie an der Klinke und verharrte plötzlich in der Bewegung. “Verflixt und zugenäht!”
“Was ist?”
Langsam wandte Annie sich ihm zu und hielt ihm die Klinke hin. “Ich fürchte, ich habe sie kaputt gemacht.”
“Und ich fürchte, du hast recht.” Er nahm ihr den Griff ab und begutachtete den Schaden. Wenn ich ganz vorsichtig bin, kann ich die beiden Teile vielleicht wieder zusammenstecken, ohne dass das Gegenstück draußen herunterfällt, überlegte Sam. Also vorsichtig, ganz behutsam … Ein dumpfer Laut erklang im Flur.
“Was ist? Kannst du die Klinke nicht reparieren, Sam?” Annie klang besorgt. “Du bist doch sehr geschickt in solchen Sachen, oder?”
“Ich bin genial, wenn es um Aktien geht, und brauchbar für einfache Reparaturen, aber es ist mir absolut unmöglich, durch ein zwei Zentimeter großes Loch in der Tür zu fassen und eine Klinke aufzuheben, die auf der anderen
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