Die letzte Jungfrau ...
Seite heruntergefallen ist.”
“Kannst du die Tür nicht aufbrechen?” Annie klang verzweifelt.
“Nur falls sie halb morsch ist.” Er untersuchte das Holz. “Und diese hier ist es nicht.”
“Und was machen wir jetzt, Sam?”
“Ich jedenfalls mache es mir bequem, bis die Rettungsmannschaften eintreffen.”
Sam setzte sich, den Rücken ans Kopfteil gelehnt und die Beine ausgestreckt, aufs Bett — das einzige Möbelstück außer einem ziemlich wackligen Stuhl.
Annie blieb zuerst an der Tür, blickte durchs Loch, schlug gegen das Holz und erkannte schließlich, wie vergeblich ihre Bemühungen waren. Sie ging zum Stuhl und setzte sich vorsichtig.
Enttäuscht stellte Sam fest, dass der Stuhl nicht zusammenbrach. Andernfalls hätte er sie vielleicht überreden können, zu ihm aufs Bett zu kommen.
“Was glaubst du, wie lange es dauert, bis jemand uns hier sucht, Sam?”
“Das hängt von Tante Myrtle ab. Wann wird sie sich, deiner Meinung nach, Sorgen um uns machen?”
“Erst in einigen Tagen.”
Er lachte, weil sie so verzweifelt klang. “In dem Fall haben wir Zeit genug, das Bett zu teilen.”
Die scherzhafte Bemerkung verstörte sie zutiefst. Sie eilte wieder zur Tür und versuchte erneut, diese zu öffnen.
“Beruhige dich, Annie. Ich habe nur Spaß gemacht. Lass uns einfach ein bisschen plaudern.”
“Worüber?”, fragte sie befangen.
“Erzähl mir von deinen Schwestern. Pansy hat also Bertie Hinkle geheiratet?”
Die Frage beruhigte Annie. Sie setzte sich wieder hin, die Hände im Schoß gefaltet. “Myrtle hat dich wahrscheinlich über alle hier auf dem Laufenden gehalten, stimmt’s?”
“Offen gesagt: Wir vermeiden tunlichst die Erwähnung der Delacortes.”
Sie fuhr zusammen. “Natürlich … Also, Pansy hat Bertie in dem Jahr geheiratet, als Dad starb.”
“Das war kurz nachdem ich die Insel verlassen hatte, oder? Ging Pansy da nicht noch zur Highschool?”
“Sie hat am Tag nach ihrem Abschluss geheiratet. An ihrem achtzehnten Geburtstag.” Ihre Lippen bebten leicht.
Oder habe ich mir das nur eingebildet, fragte Sam sich, als er Annie anblickte, die nun den Kopf gehoben hatte und völlig ungerührt wirkte.
“Sie haben einen kleinen Jungen, der in zwei Jahren in meine Klasse kommt. Das wird ein Vergnügen”, meinte sie ironisch. “Er wird wahrscheinlich mal genauso ein Raufbold wie sein Vater. Pansy ist übrigens wieder schwanger.”
“Und was macht Trish?”
“Sie lebt mit ihrem Mann, den sie während des Studiums kennengelernt hat, in Raleigh. Sie ist auch Lehrerin.” Annie lächelte strahlend. “Und sie erwartet ebenfalls ein Baby. Es soll im Dezember auf die Welt kommen.”
“Du bist also tatsächlich die Letzte der Delacortes”, bemerkte Sam.
“Pansy und Trish sind nach wie vor Delacortes und werden es immer bleiben”, erwiderte sie heftig.
“Aber ihre Kinder nicht.”
“Meine auch nicht.” Da waren sie wieder bei einem Tabuthema angelangt. Annie stand rasch auf. “Das ist doch absurd! Irgendwie müssen wir es schaffen, hier herauszukommen.”
“Erträgst du es nicht, mit mir allein zu sein?”
Sie war offensichtlich bestürzt, gab aber noch immer nicht klein bei. “Niemand wird es wissen, außer du verrätst es. Und sogar dann wird dir vermutlich niemand glauben.”
Sam lachte laut. “Du giltst also noch immer als das tugendhafteste Geschöpf der Stadt, die Frau ohne jeden Makel, kurz gesagt: Sankt Annie?”
Bedrückt sah sie ihn an. “Die Leute werden ihre Meinung schon noch ändern.”
“Wieso das?”
Annie zuckte die Schultern und wandte den Kopf zur Seite. Ihr klares, feines Profil war, wie Sam fand, wirklich bezaubernd. “Irgendwann werden sie feststellen, dass ich wie jeder Mensch fehlerhaft bin.”
“Und inzwischen tust du alles, um sie vorzuwarnen?”
“So ähnlich”, gab sie zu.
Was, zur Hölle, steckt hinter all dem, fragte Sam sich. Irgendetwas machte Annie sichtlich schwer zu schaffen, aber was? Und warum? Myrtle hatte ihm mitgeteilt, dass Annie sich schon seit einiger Zeit seltsam aufführe, und nun fand er es bestätigt. Er stand auf und ging zu ihr. “Du bist also felsenfest entschlossen, Aufsehen zu erregen, indem du beispielsweise mit meinem Motorrad durch den Ort rast. Und was sagen die ehrbaren Bürger der Stadt dazu?”
“Ist es nicht nett von ihr, das alte Motorrad des bösen Beaumont in Gang zu halten?”, sagte sie und ahmte den Tonfall der anderen genau nach.
Sam berührte die purpurrot gefärbte
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