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Die letzte Kolonie

Titel: Die letzte Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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Seele unseres Freundes Platz, damit sie sich entfernen konnte.

    In diesem Moment habe ich mich nicht von meinem Freund verabschiedet, sondern erst einige Zeit später, als ich seine Leiche in den Händen hielt, während wir in der Kälte und Dunkelheit über der strahlend grünen Welt schwebten, auf der er geboren war. Ich war zu diesem Ort gekommen, um ein Versprechen zu erfüllen: ihn nach Hause zu bringen, ihm die Rückkehr zu jener Welt zu ermöglichen, von der mein Tun ihn ferngehalten hatte, während er noch am Leben gewesen war. Es war nicht leicht, dorthin zu gelangen, und es würde nicht leicht sein, von dort zurückzukehren, aber ich hatte mein Leben schon aus viel banaleren Gründen aufs Spiel gesetzt.

    Ich wollte weder über meinen Freund noch mich Schande bringen, indem ich ihm die Rückkehr verweigerte, nur weil es mir Unannehmlichkeiten bereitete, ihn dorthin zu bringen.
    Also schwebte ich über dieser großen grünen Welt, seine Leiche in den Händen, und hielt sie länger als nötig, flüsterte Worte, die das Vakuum nicht weitertragen würde, die ich aber dennoch sprach, bevor ich meinen Freund losließ, damit er in die Gravitationssenke der Welt seiner Kindheit hinabstürzte. Mein Freund und ich schwebten noch eine Weile nebeneinander her, auf derselben Umlaufbahn, bis ich mich abwandte und mich auf den Rückweg zu meiner Welt machte. Ich blickte mich nicht mehr um, sah nicht, wie mein Freund von mir fortstürzte. Ich hatte mich von ihm verabschiedet und vertraute darauf, dass er den Heimweg von allein finden würde.
    Ich frage mich, ob jene, die ihn liebten, in diesen Momenten spürten, dass er heimkehrte, dass seine Abwesenheit rückgängig gemacht wurde, während er durch den Himmel schoss und sich darin verteilte. Ich stelle mir gerne vor, dass sie es spürten, nicht weil ich diejenige war, die ihnen einen Freund genommen hatte, sondern weil auch ich ihn liebte und in meiner Liebe seine Liebe zu ihnen spürte. Ich hoffe, dass sie in den Himmel schauten, seine Spur sahen und froh waren, dass er heimkehrte.

5
Alter
    Als du geboren wurdest, warst du zu nichts imstande, außer zu schreien. Als ich geboren wurde, erwachte ich mit einem Flüstern, das mir einen Namen gab und mir sagte, dass ich mich aus meiner Wiege erheben sollte. Ich trat mit einem Fuß auf, dann mit dem anderen, ich ging, und ich verstand alles, ohne zu verstehen, wie ich verstand. Ich drehte mich zu meinen Geburtskameraden um, die ebenfalls gingen und ihre Namen aussandten und die Namen der anderen empfingen. Wir wurden geboren, wir waren uns unserer Existenz bewusst, und wir sollten schon bald kämpfen.
    Eine Kindheit existierte für uns nicht, außer vielleicht in dem kurzen Moment, nachdem wir unseren Namen bekommen hatten und unseren Fuß auf den Boden setzten. Sobald wir diesen Schritt getan hatten, besaßen wir ein Ziel, eine Aufgabe. Wir folgten dem Ruf, ohne darüber nachzudenken, ohne Entscheidungsmöglichkeit – ohne zu ahnen, dass es eine geben könnte. Dieser Begriff, diese Idee war zu diesem Zeitpunkt noch nicht entfaltet, weil noch keine Entscheidung von uns erwartet wurde. Wir hatten nur genug Bewusstsein, um zu gehen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, den Rest unseres Lebens in Angriff zu nehmen.
    Als du zwei Jahre alt warst, hattest du gelernt, zu sprechen und zu gehen. Als ich zwei Jahre alt war, wurde ich zum Offizier befördert – zum Lieutenant -, um den zu ersetzen, dessen Körper vor meinen Augen halbiert wurde. Die Bauch- und die
Rückenseite lösten sich voneinander und kippten zur Seite, und der letzte überraschte Gedanke, den er sendete, war das Gefühl, einen kühlen Luftzug zwischen seiner Vorder- und Rückseite zu spüren. Und ich taumelte zurück, war selbst verwundet, hielt mir den Arm vor den Bauch, damit meine Eingeweide drinnen blieben, in einem Alter, als du den Puppen deiner Schwester die Köpfe abgerissen hast.
    Als du vier warst, hast du gelernt, zu sprechen und dir die Schuhe zuzubinden. Als ich vier war, versuchte ich eine Kapitulation auszuhandeln, um meine Soldaten davor zu bewahren, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, indem sie eine Siedlung Hütte um Hütte eroberten. Doch es gab keine Kapitulation, und wir zogen durch die Siedlung, tötend und sterbend, überall nur sinnlose Tode, nur sinnvoll für den Wunsch des Leiters der Siedlung, der die Auslöschung dem Leben vorzog. Ich gab mir Mühe, ihn aufzuspüren, verweigerte ihm das Ende als Märtyrer, das er sich ersehnt hatte, und

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