Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
O’Hara erscheint 45 Minuten später als vorgesehen, um sich ihre Abfuhr abzuholen. Außerdem ist sie entsetzlich verkatert. In gewisser Weise kommt ihr der Kater allerdings zugute. Ohne wäre es ihr nicht gelungen, einen so überzeugend jämmerlichen und reumütigen Gesichtsausdruck aufzusetzen.
Callahan lässt sich lautstark darüber aus, dass O’Hara jegliches Urteilsvermögen, jegliche Reife und Teamfähigkeit fehle und sie sich und einen publicityträchtigen Fall gefährdet habe. Außerdem bringe sie Callahan nicht den nötigen Respekt entgegen. Doch da von O’Hara keinerlei Widerworte kommen, fällt es ihm zunehmend schwerer. Als er sagt: »Eins wollen wir ein für alle Mal klarstellen«, merkt sie, dass er sich allmählich beruhigt. »Deine Mitarbeit an den Ermittlungen – offiziell, inoffiziell, im Dienst oder nach Dienstschluss – ist beendet. Der Fall liegt jetzt bei der Mordkommision Süd, dort wo er hingehört. Krekorian und du, ihr beschäftigt euch jetzt wieder mit Angelegenheiten, die diesen Bezirk betreffen. Verstanden? Schluss mit den Spielchen als Mordkommissarin. Du hast schon genug Schaden angerichtet. Das war’s. Ich bin fertig.«
Die Strafpredigt war denkbar milde ausgefallen, trotzdem waren einige Bemerkungen ganz zum Schluss doch zu herablassend gewesen, um unwidersprochen stehenbleiben zu können. »Demnach will mir also niemand gratulieren«, sagt sie.
»Hast du irgendetwas von dem verstanden, was ich gerade gesagt habe?«, fragt Callahan angewidert.
O’Hara verlässt Callahans Büro und geht zu Krekorian, der an seinem Schreibtisch sitzt und so tut, als würde er auf seinen Computerbildschirm starren.
»Das war ein Klassiker, Dar. Du bist schon fast wieder draußen und kannst doch die Klappe nicht halten.«
»Nein«, sagt O’Hara und wird sich schmerzhaft der Tatsache bewusst, dass sie gerade mit einer einzigen spitzen Bemerkung eine zwanzigminütige Meisterleistung im Method Acting zunichte gemacht hat. Im Flüsterton sagt sie: »Komm mit, McLain besuchen.«
»Hälst du das in Anbetracht der aktuellen Lage für intelligent?«
»Nein.«
28
Als O’Hara und Krekorian McLains neue vorübergehende Unterkunft in Hell’s Kitchen erreichen, staubsaugt McLain gerade den Wohnzimmerteppich seines Gastgebers. Trotz des Biers in seiner Hand macht er das ganz ausgezeichnet.
»David«, sagt O’Hara, »wann hattest du vor, mir zu erzählen, dass Francesca im Privilege gestrippt hat?«
»Gar nicht«, sagt McLain und stellt den Staubsauger aus. »Die Stripperei hat nichts damit zu tun, und sie hat’s auch nur vier Monate lang einmal die Woche gemacht. Das war leicht verdientes Geld. Weiter nichts.«
»Der Laden übt magnetische Anziehungskraft auf alle möglichen Arschlöcher aus. Eines von ihnen könnte Francesca getötet haben. Vielleicht sogar der Blödmann, den du zu Brei geschlagen hast.«
»Das haben Sie gesehen? Tun Sie sich das nächste Mal keinen Zwang an und machen Sie mit.«
»Hab’s mir überlegt, schien mir aber kaum nötig zu sein. Hast du das beim Fußballtraining gelernt?«
»Nein«, sagt McLain und lächelt verlegen, »von einem Jet-Li-Video.«
O’Hara und Krekorian überlassen McLain der Hausarbeit, allerdings erst nachdem ihm O’Hara die Bierdose weggeschnappt und deren Inhalt in die Spüle gekippt hat. Der Eingriff ist so unerhört mütterlich und verschwenderisch, dass Krekorian die Augenbrauen hochzieht. »Du schwitzt dir noch den Bourbon von gestern aus den Poren«, sagt Krekorian im Fahrstuhl, »und verbietest dem Mann sein Bier? Er hat nur mit einem Staubsauger hantiert und ist nicht Gabelstapler gefahren.«
»Fällt ein Staubsauger nicht unter die Verordnung für schwere Maschinen? Dann kann ich’s auch nicht ändern. Der Junge ist so loyal, dass es mich fertigmacht. Er meint kein Wort ernst, wenn er behauptet, die Stripperei sei keine große Sache gewesen. Sonst hätte er ihre Gage nicht verschenkt, als wären die Scheine radioaktiv verseucht. Außerdem staubsaugt er.« O’Hara sieht keinen Grund, weshalb sie Krekorian mitteilen sollte, dass das verschenkte Geld aus der Brieftasche des Türstehers stammte und Penas ausstehende Gage wahrscheinlich weit überschritt.
»Und dass er mit einem Kung-Fu-Film kämpfen gelernt hat?«, fragt Krekorian. »Nimmst du ihm das ab?«
»Nicht so richtig. Aber er ist sportlich. Du solltest mal sehen, wie er in einem zwei Nummern zu kleinen Anzug freihändig Fahrrad fährt.«
»Was zum Teufel soll das
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