Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
wirft sie ihr ein umwerfendes Lächeln zu. Bevor O’Hara zurücklächeln kann, dreht der DJ die Guns N’Roses-Ballade »November Rain« auf und die Tänzerin legt los.
Als die Single aus dem Album Use your Illusion I, ausgekoppelt wurde, war O’Hara einundzwanzig Jahre alt, kam frisch von der Akademie und arbeitete in Zivil bei der Verbrechensbekämpfung am Times Square. In jenem Winter hatte sie den Eindruck, dass das Video – das mit der Hochzeit von Axl und Stephanie Seymour anfängt und mit der Beerdigung der Braut in derselben Kirche endet – jedes Mal lief, wenn sie den Fernseher einschaltete.
Während sich O’Hara Richtung Bar schiebt, lächelt das Mädchen noch einmal und wirft sich an die Stange. Als sie loslässt, hat sie so viel Schwung, dass sie ein paar Schritte auf O’Hara zuspringt, die in ihre Tasche greift und ihr einen Zwanziger in den G-String klemmt.
27
Bruno besteht aus vierzehn Pfund purer Einfühlsamkeit. Er begreift sofort, dass O’Hara verkatert ist und sträubt sich nicht, als sie nach fünf mageren Straßenecken schon wieder umdreht und kleinlaut nach Hause trottet. Sicher zurück in ihrer Küche angekommen, will sich O’Hara gerade erneut krankmelden, als sie ihren Anrufbeantworter blinken sieht. In den zehn Minuten, die sie mit Bruno draußen war, sind ganze vier neue Nachrichten eingegangen. Sie hofft bei Gott, dass es nicht um Axl geht und drückt auf PLAY: »Verfluchtbeschissenearschgesichtigescheißkacke!«, schreit ihr Sergeant und die einzelnen Wörter kleben aneinander wie verkochte, kalte Pasta. Wenigstens ist Axl nichts passiert. Nachricht zwei, zehn Sekunden später: »Ich hab dir vertraut, O’Hara, und du hast mich ohne Gleitmittel gefickt. Glaub bloß nicht, dass ich denselben Fehler noch einmal mache.« Obwohl sie jetzt in der Klemme steckt und trotz ihres stechenden Kopfschmerzes muss O’Hara wegen der unfreiwilligen Missverständlichkeit lachen. Nachricht drei, nur Sekunden später: »Darlene, wie geht’s? Ich hab gerade die ganze Nacht an einer Hausarbeit für Geschichte gesessen und gedacht, ich erwische dich vielleicht noch, bevor du zur Arbeit gehst.« Dieses Mal ist der Anrufer tatsächlich ihr Sohn. Obwohl sie nicht ganz sicher ist, ob sie ihm das mit der Hausarbeit abkaufen soll, freut sie sich, seine Stimme zu hören. »Thanksgiving war überhaupt kein Ding«, fährt Axl auf Band fort. »Ihre Eltern sind beide Ärzte und fahren aufeinander abgestimmte blaue BMWs, aber sie wollten über nichts anderes reden als über meine Mom, die Detective in New York City ist. Als wärst du dabei gewesen. Hab dich lieb. Ich hoffe, dir geht’s gut. Erstmal Tschüss.« O’Hara lächelt so lange, wie die Maschine braucht, um bis zum letzten Nachsatz des Sergeant vorzuspulen: »Wenn es dir gut genug geht, um in Stripclubs rumzuhängen, O’Hara, dann bist du auch gesund genug, um zu arbeiten. Ich erwarte dich zu Beginn deiner Schicht in meinem Büro.« Was Axls Anruf angeht, so könnte O’Hara kaum glücklicher sein. Sie ist froh, dass er seine erste Probe auf Sozialtauglichkeit so problemlos gemeistert hat. Was Callahan angeht, ist sie eher erstaunt als besorgt. Außer Krekorian hat sie niemandem von Pena und dem Privilege erzählt. Also wie hat ihr bescheuerter Sergeant das spitzgekriegt?
Die Mittwochszeitungen liegen in blaue Plastikfolie eingeschweißt auf dem Tisch, wo sie sie selbst hingelegt hat. Als sie die Verpackung aufreißt, entdeckt sie die Stripperinnen-Stange aus dem Privilege auf der Titelseite der Post. Darüber in fetten Schlagzeilen: MORDOP-FER FÜHRTE DOPPELLEBEN. Die Daily News titelt hingegen: ATHLETIN, WISSENSCAHFTLERIN UND STRIPPERIN und bringt Penas unschuldiges Porträtfoto aus dem Jahrbuch ihrer alten Schule. Was noch schlimmer ist: Darlene O’Hara, Detective beim NYPD, wird in beiden Artikeln erwähnt. Sylvie, diese schamlose Schlampe, muss die Zeitungen informiert haben, um kostenlos Werbung für ihren Laden zu machen. Kein Wunder, dass sie noch in hohem Alter Stripperinnnen um sich schart.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem. O’Haras Wagen steht an der East 5th Street. Ihr Besuch im Privilege hatte einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen und um ihn runterzuspülen, hatte sie in ihrer neuen Lieblingsbar, dem Three of Cups, Station gemacht. Als sie nach vier Bourbon auf die Straße torkelte, war sie in keinem Zustand mehr, in dem sie noch hätte Auto fahren können. Also war U-Bahn angesagt. Die Linie 1 hat Verspätung und
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