Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
bisschen Kohle für ein grellgrünes Sofa mit lilafarbenen Kissen und einen pinkfarbenen Flokati in der Farbe der Froot Loops springen lassen. Hinter dem Sofa hängen drei Teenie-Poster mit Tesafilm an der Wand befestigt. O’Hara kennt sich gerade gut genug bei MTV aus, um zu wissen, dass das Mädchen links mit dem Diamanten im Bauchnabel Britney ist und das rechts, ebenfalls in einem abgeschnittenen T-Shirt und einem so weit aufgeknöpften Jeansrock, dass ihr Bikinihöschen darunter sichtbar wird, Christina Aguilera. Zur Identifizierung des käseweißen Rappers dazwischen reicht es nicht mehr. Nach dem hellblauen Jogginganzug, der fetten Rolex und den Goldketten zu schließen, muss es sich um irgendeinen Möchtegern-Eminem handeln. Dann entdeckt sie das mit Diamanten besetzte Dollarzeichen an der Goldkette und den Schriftzug DANNY BOY in goldenen Lettern. Als sie unter die Baseballkappe sieht, fällt ihr auf, dass das Gesicht für einen hoffnungsvollen Nachwuchspopstar zwanzig Jahre zu alt ist.
»Kennst du den?«, fragt Krekorian.
»Daniel Delfinger«, sagt O’Hara. »Ein 43-jähriger Steueranwalt, offensichtlich auch bekannt unter dem Namen ›Danny Boy‹.«
Vom Schlafzimmer aus blickt man wie vom Wohnzimmer direkt auf die rußschwarze Wand des Nachbargebäudes. Da alle Fenster fest geschlossen sind, surrt der Heizkörper hier lauter und der Farbgestank ist stärker. Ein Flachbildfernseher, eine Stereoanlage und der DVD-Player stehen einem Doppelbett gegenüber. Die grellgrüne Tagesdecke und die Stofftiere, darunter auch ein beinahe lebensgroßer Pink Panther, spiegeln sich im Bildschirm. In der Ecke steht ein Stativ und auf dem Nachttisch zwei Cellophantüten aus dem Süßwarenladen. Eine davon ist leer, die andere noch halbvoll mit grünen Jelly Beans.
O’Hara und Krekorian suchen nach der Kamera, die zu dem Stativ gehört. Sie durchsuchen die Schränke, Kommoden und Schubladen, ebenso die Abstellkammer, sie sehen unter dem Möbelstück nach und schon bald sind sie regelrecht durchgeschwitzt. Als sie überall nachgesehen haben, geht O’Hara zu dem kleinen Videorekorder unter dem Fernseher, drückt auf ›Eject‹, und eine Kassette springt heraus. »Mach das Licht aus«, sagt sie. »Vielleicht brauchen wir die Kamera nicht.«
Als O’Hara den Fernseher einschaltet und auf ›Play‹ drückt, erscheint Consuelas Gesicht auf dem Bildschirm. Durch die hohe Auflösung und die Nahaufnahme kommt der Flaum auf ihren Wangen und ihrem Nacken zum Vorschein, ebenso wie jede jugendliche Hautunreinheit. Als die Kamera zurückfährt, springt Consuela auf Knien auf dem Bett. Ebenso wie ihre Popstaridole trägt sie ein abgeschnittenes T-Shirt und dieselben auf Hüfte geschnittenen Jeans wie zu Hause bei ihrer Mutter zwei Tage zuvor. Der Plüschdinosaurier und das Känguru sitzen hinter ihr am Kopfteil und sehen aus wie Zuschauer.
»Zeig’ uns dein neues Tattoo, Con«, lässt sich die erwachsene Stimme von Daniel Delfinger aus dem Off vernehmen. Consuela hört auf zu hüpfen, dreht sich um und erlaubt der Kamera auf die gerötete Stelle direkt über dem Hosenbund zu zoomen. Eine grobe, amateurhaft ausgeführte Kopie der Tätowierung, die sich Francesca in Williamsburg stechen ließ, ist deutlich zu sehen. »Tut’s noch weh, Baby?«, fragt Delfinger.
»Ein bisschen«, sagt Consuela. Ihre hohe Stimme klingt, als wäre sie noch keine elf Jahre alt.
»Wofür stehen die Buchstaben?«, fragt Delfinger und klingt dabei wie ein Verteidiger bei der Zeugenbefragung.
Consuela dreht den Kopf über die Schulter, bis sie fast wieder in die Kamera blickt, und greift mit dem linken Arm um die Hüfte. Dann deutet sie mit einem abgekauten roten Fingernagel auf das T, den ersten der sechs Buchstaben in dem Herz und sagt: »Das heißt …« Langsam fährt sie mit dem Finger vom H zum B zum D und B und sagt, »Hynie … belongs … to … Danny … Boy – Hynie gehört Danny Boy.«
»Stimmt das denn«, fragt Delfinger durch die Nase, »was da steht?«
»Ja.«
»Wieso soll ich dir das glauben?«
»Weil das so ist.«
»Bist du bereit, es mir zu beweisen?«
Consuela wendet sich von der Kamera ab und im Hintergrund sagt eine Stimme, die ihrer sehr ähnlich ist: »Schon in Ordnung.« Als Delfinger nackt ins Bild tritt, begreift O’Hara, dass es Moreals Stimme ist. Sie hält die Kamera.
Die Aufnahmen sind 23 Minuten lang, aber wegen der Hitze und dem Mief – und weil sie wissen, dass sie in dem Zimmer stehen, in dem der Film
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