Die letzte Lüge: Thriller (German Edition)
Atem dampft in der Kälte. »Ich habe immer gewusst, dass er mich betrügt. Irgendwann habe ich einen Detektiv angeheuert. Vor sechs Monaten hat er die Wohnung gefunden. Daniel ahnt immer noch nicht, dass ich das weiß. Aber ich glaube, er hat gemerkt, dass ihm jemand gefolgt ist.«
»Wieso haben Sie mir heute Nachmittag nichts von der Wohnung erzählt.«
»Ich habe Ihnen sowieso schon viel zu viel erzählt.«
»Naomi, ich brauche die Adresse.«
44
Nummer 972 auf der Westseite der 2nd Avenue, zwischen der 51st und der 52nd, ist ein schäbiges kleines Wohnhaus eingequetscht zwischen zwei Irish Pubs. Um drei Uhr morgens dringt aus beiden noch verzweifelte Fröhlichkeit. Von der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sie seit Stunden parkt, kann O’Hara die fast identischen Tresen in beiden Kneipen sehen. Ein abgewrackter Säufer unterbricht alle zwanzig Minuten die Alkoholzufuhr und geht raus, um eine zu rauchen. Als er seinen Stummel wegschnippt, fällt O’Hara die neue Markise des Süßwarenladens drei Türen weiter auf. Hat Pena hier die Malzbonbons mit Schokolade gekauft, die ihr Lebowitz aus den Zähnen kratzte?
Um halb vier hält ein Wagen hinter ihr. O’Hara geht zu dem heruntergekurbelten Fenster und legt Krekorian eine Hand auf die breite Schulter. Er erwidert die Geste mit dem verärgerten Blick, den eine Mutter ihrer geliebten Tochter zuwirft, die gerade zum dritten Mal in einem Jahr von der Schule geflogen ist. »Das war’s, Darlene. Egal was, heute ist Schluss damit.«
»Verstanden«, sagt O’Hara. »Hast du den Durchsuchungsbeschluss?«
»Was glaubst du wohl, was ich gemacht habe – mir in Chinatown die Füße massieren lassen? Ich komme aus der Kanzlei von Richter Carl Kochanski. Ich habe ihm erklärt, wir hätten Grund zu der Annahme, dass sich in diesem Apartment Beweise im Zusammenhang mit einem Mordfall befinden. Um drei Uhr morgens hat Kochanski das gereicht. Er ist für Midtwon East zuständig. Wenn es sich nicht rumspricht, kriegen unsere Freunde Lowry und Callahan vielleicht gar nichts davon spitz.«
Die beiden überqueren die Straße und betreten den engen Eingangsbereich. Speisekarten von Lieferimbissen und Flyer, die für Schlüsselnotdienste werben, klemmen hinter dem Summerkasten. Unter einer gesprungenen Glasscheibe sind die Namen der Bewohner in weißen Plastikbuchstaben angebracht. Die fehlenden Buchstaben i und g aus Higgins und das k aus Baginski liegen zusammen mit toten Fliegen und Kakerlaken am Boden der Abdeckung. An Nummer 4C steht kein Name.
Vor dreieinhalb Stunden weckte O’Hara den Hausmeister zum ersten Mal, nur um sicherzugehen, dass er da war. Jetzt meldet sie sich noch einmal bei ihm. Die verschlafenen Augen reibend kommt er aus dem Keller und führt sie die modrig riechende Holztreppe mit dem Teppichläufer hinauf. Als sie vor 4C stehen, gibt O’Hara dem Hausmeister und Krekorian jeweils ein paar Gummihandschuhe und zieht sich selbst ein Paar über.
»Wie ich Ihrer Partnerin schon gesagt habe, ich war nicht mehr in dem Apartment, seit Ivers eingezogen ist. Es gab nie einen Anlass dazu.«
»Er nennt sich Stan Ivers«, sagt O’Hara zu Krekorian. »Unser Freund hier erzählt, er würde gerade eine hässliche Scheidung durchmachen und habe die Wohnung gemietet, damit ihn seine Kinder besuchen können. Er sagt, Ivers zahle in bar. Immer sechs Monate im Voraus.«
Der Hausmeister wählt einen Schlüssel von einem dicken Schlüsselbund aus und dreht ihn zweimal im Schloss. Anschließend folgt er Krekorian und O’Hara in das überheizte Apartment. Im Dunkeln zischen die Heizkörper wie eine Sprinkleranlage und O’Hara kann die unzähligen Schichten billiger Farbe riechen, die in der feuchten Hitze vor sich hin schmoren.
Hinter ihnen betätigt der Hausmeister einen Lichtschalter und die Deckenbeleuchtung in der schäbigen, winzigen Küche direkt hinter der Tür zu ihrer Rechten springt an. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass hier gekocht wurde. In der Spüle stehen einige Gläser und ein schmutziger Aschenbecher, auf der Arbeitsfläche eine leere Flasche Cuervo und eine Schachtel Froot Loops. Im Kühlschrank befindet sich nichts außer einem einen Monat alten Tetrapack Tropicana.
»Nichts anfassen«, sagt O’Hara dem Hausmeister zugewandt.
Krekorian schaltet eine weitere Lampe ein und ihre Augen müssen sich erst einmal an die grellen Farben im Wohnzimmer gewöhnen. Das Zimmer ist klein und ebenso schäbig wie die Küche, aber Delfinger hat ein
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