Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
Stimmen aus dem Fernseher, auch er sieht sich Nur Freunde an, der dumme alte Soldat.
Er lächelt mich an. Wir sind ebenfalls nur Freunde, aber alte Freunde. Er bittet mich herein, fragt, ob ich einen Tee will, und ich sage: Nein danke.
» Was führt dich zu mir?«
» Ich will etwas von dir lernen, Iwan.«
» Ha, was will die Lehrerin von mir lernen?«, fragt der alte Soldat.
Ich schaue ihn an.
Er sieht in meinen Augen, wie ernst es mir ist, und sein Lächeln schwindet.
» Bring mir bei, wie man kämpft. Wie man tötet.«
64
Harpă, Moldawien
Ich folge Natalia vom Markt weg. Natalia ist ein zierliches Mädchen, und ihr gewölbter Bauch ist nicht mehr zu übersehen. Schwanger. Natalia trottet schwerfällig dahin, die Schwangerschaft scheint ihr eine einzige Plage zu sein. Ihre Augen sind stumpf, ohne Glanz, ohne Leuchten.
Als Natalia den Rand des Marktes erreicht, fasse ich sie am Ellbogen an, und die junge Frau dreht sich um. Sie erkennt mich. Und versucht zu lächeln, als wäre das Lächeln eine Bewegung der Gesichtsmuskeln, die sie vergessen hatte.
» Kennen wir uns?«, fragt Natalia.
» Du hast meine Schwester als Prostituierte zu Vadim gebracht.« Kein Grund, Zeit zu verschwenden. Ihr Baby könnte jeden Moment zur Welt kommen.
Meine Worte prallen gegen die Festung von Natalias Lächeln. Ihre Lippen zittern einen winzigen Moment lang, doch das Lächeln bleibt unerschütterlich. » Ich muss gehen«, flüstert Natalia.
Ich fasse sie am Arm und ziehe sie in eine schmale Gasse mit aufgelassenen Geschäften und » Zu vermieten«-Schildern in den Schaufenstern. Die Scherben einer zerbrochenen Bierflasche knirschen unter unseren Schuhen. Es riecht nach Pisse. Natalia will sich losreißen, doch ich bin stärker. Ich drücke sie gegen eine Ziegelwand, an der sich ein Graffiti-Künstler mit unfeinen Worten über einen gegnerischen Fußballverein verewigt hat.
» Wohin haben sie sie gebracht?«, frage ich.
» Ich weiß es nicht. Lass mich los.«
» Sag’s mir, oder ich brech dir den Arm.«
» Ich bin schwanger«, protestiert Natalia und wird immer blasser.
» Egal. Ein gebrochener Arm schadet deinem Baby nicht. Wie geht es weiter, nachdem Vadim die Mädchen hier abgeholt hat?«
Natalia antwortet nicht, und ich ziehe ihren Arm auf mein Knie herunter und drücke auf beiden Seiten zu. » Ich mein’s ernst, das kannst du mir glauben.«
» Du bist doch Lehrerin.« Jetzt erinnert sie sich an mich.
» Ja, und du solltest mir besser sagen, was ich wissen will, sonst verprügle ich dich mit dem Lineal.«
Natalias Augen weiten sich. » Er bringt Nelly um, wenn er erfährt, dass du mit mir gesprochen hast. Lass mich los.«
Ich packe ihren Ringfinger und verdrehe ihn so, dass es wehtut. Natalia schreit.
» Nimm unser Gespräch gefälligst ernst. Wie-geht-es-weiter?«
Natalia stöhnt vor Schmerz. » Vadim fährt mit ihnen nach Bukarest, sie haben dort ein Haus. Von dort werden sie mit dem Auto nach Istanbul gebracht. Da bleiben sie dann eine Weile.«
» Warum?«
» Sie… bitte, ich will es nicht sagen.«
» Du bist schuld, dass meine Schwester dort ist, also kannst du’s auch aussprechen.«
» Sie werden abgerichtet.«
» Das heißt was genau?«
» Sie geben ihnen Heroin. Sie… schlagen sie. Ein paar Tage, bis die Mädchen tun, was sie wollen.«
Ich zwinge mich, bis zehn zu zählen, ehe ich weiterspreche. » Und was dann?«
» Sie werden… verkauft. In Häuser. In die Türkei. Nach Israel, Albanien, Italien. Die Hübschesten kommen nach Dubai.«
» Weißt du, wo Nelly ist?«
» Du kannst nichts für Nelly tun, du musst mit ihnen kooperieren. Sie sind zu stark.«
» Wenn ich ohnehin machtlos bin, kannst du’s mir genauso gut sagen.«
In diesem Moment sehe ich, was in Natalia vorgeht. Da ist nicht mehr viel Menschliches in ihr, aber sehr viel Angst. Angst bestimmt ihr Leben. Dafür haben Vadim und seine Leute gesorgt.
Gut.
» Sie… sie ist in Tel Aviv. Ich hab sie gesehen. Ich war auch dort. Lucky Strike Parlor. Über einer Pizzeria. Acht Mädchen sind dort. Die meisten aus Moldawien oder Rumänien.«
» Ist Vadim der Zuhälter?«
» Nein. Der Händler. Er bringt die Mädchen nur zu den Häusern, in die sie kommen.«
» Es gibt da einen Mann mit einer blonden Irokesenfrisur. Wer ist er?«
» Er heißt Zviman. Ihm gehört das Bordell, er hat’s von seinem Vater geerbt. Er hat noch mehr davon, in Afrika, im Nahen Osten, in Russland. Mit ihm darfst du dich nicht anlegen, er ist ein
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