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Die letzte Nacht der Unschuld

Die letzte Nacht der Unschuld

Titel: Die letzte Nacht der Unschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: India Grey
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Lauf gelassen. Die Vergangenheit schien so irreal wie ein böser Traum, und die Zukunft lag jenseits dieses Raumes, wurde von schneebedeckten Bergen und Tannen auf Abstand gehalten.
    Vorsichtig drehte sie sich auf den Rücken, um Cristianos Gesicht im Schlaf betrachten zu können. Er rührte sich, bewegte seinen Arm, nur um ihn auf ihren Bauch zu legen. Seine Lider flatterten nicht einmal.
    Ihr Herz floss über. Selbst mit dem Bartschatten erinnerte er sie an Alexander. Sie ließ ihren Blick über seine geschwungenen Brauen wandern, über seine gerade Nase, seine vollen Lippen, sein markantes Kinn.
    Gott, er war schön. Aber vor allem war er der Mann, mit dem sie den kleinen Jungen geschaffen hatte, den sie über alles liebte. Der Vater ihres Kindes.
    Behutsam rollte sie sich unter seinem Arm fort und stand auf, hob sein Hemd auf und schlüpfte hinein. Dann nahm sie ihre Abendtasche auf und öffnete sie, um ihr Handy hervorzuholen.
    Neben dem Handy steckte der Brief. Der Brief, in dem sie Cristiano von seinem Sohn berichtete, sowie die Adresse des Anwaltsbüros, über das eine eventuelle Kontaktaufnahme stattfinden sollte. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr Colleen, leise ließ sie den Verschluss zuschnappen und legte die Tasche auf den Sessel zurück. Auf Zehenspitzen schlich sie aus dem Raum.
    Das fahle Morgenlicht reichte aus, um sich im Haus zurechtzufinden. Fast wie ein Baumhaus, dachte sie, als sie die Treppe in das große Wohnzimmer hinunterstieg und in die Küche ging. Alles war aus schimmerndem Holz gefertigt – Wände, Decken, Böden. Sie füllte den Wasserkocher und kam sich dabei vor wie Goldilock im Haus der drei Bären. Champagnerflaschen klingelten leise, als sie die Kühlschranktür aufzog, um nach Milch zu suchen. Sie fand zudem Eier, geräucherten Lachs, Butter und Käse.
    Francine Fournier ist also nicht nur in einer Hinsicht eine Lebensretterin, dachte sie trocken.
    Das Ticken einer Standuhr drang an ihr Ohr. Colleen sah auf das Ziffernblatt und nahm ihr Handy in die Hand. Es war noch früh, in England sogar noch eine Stunde früher, aber Alexander und Ruby wurden immer zeitig wach, und somit wären Lizzie und Dominic auch schon auf den Beinen.
    Während sie darauf wartete, dass jemand auf das Klingelzeichen am anderen Ende antwortete, schaute Colleen auf die Gebirgskette vor dem Fenster. Die aufgehende Sonne verwandelte den Schnee auf den Bergkuppen in rosafarbenen Zuckerguss. Fast könnte sie meinen, auf einem anderen Planeten zu sein und nicht nur in einem anderen Land.
    „Hallo?“
    „Lizzie, ich bin’s.“ Colleen sprach leise in dem stillen Haus. „Habe ich dich geweckt?“
    „Colleen, Liebes, natürlich nicht! Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du schon so früh wach bist. Ich dachte, du würdest das Beste aus der kinderfreien Zeit machen und ausschlafen … oder wilden Sex mit dem fantastischen Signor Maresca haben.“
    „Nun …“ Colleen lächelte, als sie an die letzte Nacht dachte.
    Am anderen Ende ertönte ein ohrenbetäubendes Kreischen. „Colleen, ehrlich?! Ach du meine Güte! Er hat dich also erkannt!“
    Das Lächeln schwand. „Nicht wirklich. Das ist eine lange Geschichte. Aber ich bin jetzt mit ihm zusammen …“
    „Er ist also bei dir?“ Lizzie senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Hast du ihm von Alexander erzählt?“
    „Nein.“ Das Wasser kochte, und Colleen klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um den Kaffee aufzugießen. „So simpel ist das nicht.“ Die Untertreibung des Jahres. Sie hatte keine Ahnung, wie sie es erklären sollte. Aber das konnte noch warten. „Er ist anders als früher, Lizzie“, sagte sie nachdenklich.
    „Nun, verwunderlich ist das nicht – nach vier Jahren“, kam Lizzies Stimme nüchtern durch die Leitung. „In der langen Zeit habt ihr beide vieles durchgemacht. Wichtig ist doch, dass die alte Chemie zwischen euch offensichtlich noch immer funktioniert. Du musst es ihm sagen.“
    „Das ist nicht gerade ein Thema, das man nebenbei in die Unterhaltung wirft.“
    In Colleens Vorstellung hatte es stets ein einfaches entweder-oder-Bild gegeben: Entweder, er wies sie geradeheraus zurück, oder aber – nur selten hatte sie sich erlaubt, es sich so auszumalen – es gab ein filmreifes Happy End. Keine Sekunde lang hatte sie mit der Situation gerechnet, in der sie sich jetzt befand – mit ihm zusammen zu sein, wieder mit ihm geschlafen zu haben, und dennoch meilenweit weg von dem Ort zu sein, an dem sie sich das letzte

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