Die letzte Nacht der Unschuld
vielleicht keine gemeinsame Zukunft gab, von diesen wenigen wunderbaren Tagen ihr ganzes Leben lang zehren würde.
Doch noch wollte sie nicht so denken. Noch blieb ihnen die kommende Nacht. Noch konnte sie Cristiano helfen, die Erinnerung wiederzufinden. Eine weitere Nacht, um den distanzierten Fremden mit dem spöttischen Lächeln, der Cristiano für sie im Augenblick wieder war, hinter sich zu lassen und den Mann zu finden, den sie in jener Nacht in Monaco kennengelernt hatte. Der Mann, der ihr seine Geheimnisse offenbart und in ihren Armen geweint hatte.
Es war noch nicht vorbei.
Cristiano wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sollte besser ins Haus gehen, die Sonne stand schon halb hinter den Bergen. Außerdem hatte er genügend Holz gehackt, um den Kamin für die nächsten drei Monate zu befeuern.
Er hatte gegenüber Colleen den Vorwand genutzt, er wolle sich bei Francine bedanken, indem er ihren Brennholzvorrat aufstockte. Doch in Wahrheit war er aus rein eigennützigen Gründen hier herausgekommen – um sich selbst aus der ungewohnten Betäubung zu reißen, die ihn seit der Ankunft befallen hatte.
Den Arm voller Scheite, ging er um die Hütte herum. Auf einem Hang in der Ferne sah er zwei Skifahrer talabwärts wedeln. Normalerweise hätte ihn längst die Unruhe gepackt, sich ebenfalls die Bretter unter die Füße zu schnallen und es den Leuten dort nachzutun, doch heute, da sein Körper sich so zufrieden und matt fühlte, war von diesem Drang nichts zu spüren.
Das beunruhigte ihn.
Während der endlosen Wochen im Krankenbett hatten die Ärzte ihn künstlich ruhigstellen müssen, um seinem Körper den Heilungsprozess überhaupt zu ermöglichen – weil er so rastlos gewesen war. Damals hatte er sich geschworen, nie wieder etwas als selbstverständlich anzusehen und keinen Moment mehr ungenutzt verstreichen zu lassen. Und doch hatte es ihn heute Nachmittag fast ebenso viel Anstrengung gekostet, aus dem Bett aufzustehen, wie vor vier Jahren aus dem Krankenbett. Nie hätte er sich vorstellen können, dass er das Nichtstun wählen würde, wenn die besten Hänge der Welt direkt vor der Tür lagen.
Nun, „nichts“ hatten sie ja nicht getan. Bei dem Gedanken meldete sich prompt das Ziehen in seinen Lenden. Nach vier Jahren Fast-Abstinenz war es jetzt geradezu so, als hätte er den Sex neu entdeckt. Nie zuvor hatte er sich derart in einer Frau verloren, und der Himmel wusste, dass er dazu genügend Gelegenheiten gehabt hatte.
Das Problem war, er wollte sich nicht verlieren. Er war hergekommen, um sich wiederzufinden.
Mit dem Fuß stieß er die Kellertür auf und begann, die Holzscheite an der Wand zu stapeln. Er musste nach Monaco zurück, zurück zur Trainingsroutine. Francines Vorschlag hatte nicht das gewünschte Ergebnis gebracht, genauso wenig wie seine eigene Idee, dass der Sex mit Colleen Edwards ihm helfen könnte, seine Erinnerung zurückzubringen.
Das Gegenteil war der Fall. Es war, als übte sie irgendeine mysteriöse Wirkung auf ihn aus. Jede Minute, die er in ihren Armen verbrachte, zog ihn tiefer hinein in selige Gleichgültigkeit, sodass er alles vergaß, was ihn normalerweise antrieb, alles, was normalerweise wichtig für ihn war.
Abrupt hielt er mitten in der Bewegung inne. Er stieß einen Fluch aus, als ihm ein plötzlicher Gedanke wie eine eiserne Faust in den Magen fuhr. Er hatte noch etwas anderes völlig vergessen.
Hastig warf er die Scheite hin und steuerte auf die Treppe zu.
„Riecht gut.“
Colleen schaute auf. Cristiano stand in der Küchentür. Er hatte schmutzige Hände, das Haar hing ihm feucht in die Stirn, und er sah so unglaublich sexy aus, dass sie gleich wieder wegschaute und ihre ganze Aufmerksamkeit auf die köchelnde Pfanne richtete. „Sollte es auch, wenn man aus einem solchen Vorrat wählen kann. Wo ich herkomme, da versteht man unter ‚Grundnahrungsmitteln‘ Brot, ein paar Konserven und vielleicht noch Kekse, nicht Bio-Rindfleisch und schockgefrorene frische Kräuter. Bist du sicher, dass wir das alles benutzen dürfen?“
„Ich ersetze es.“
Etwas in seiner Stimme ließ Colleen wieder aufblicken. Ihr Herz stockte einen Schlag lang, als sie in seine seltsam starre Miene blickte. Seine Augen waren fast schwarz – und hart. „Stimmt etwas nicht?“
Er kam auf sie zu und brachte dabei frischen kalten Tannenduft mit in den Raum. „Mir ist gerade etwas eingefallen.“ Er lächelte kühl, als Colleen leise nach Luft schnappte. „Damit beziehe ich
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