Die letzte Nacht der Unschuld
majestätisch wie die Berge – und ebenso fern.
Er hob ihre Jeans auf. Sie lag noch genau da, wo Colleen sie gestern ausgezogen hatte. Das Klingeln wurde lauter.
Er zog das Handy aus der Hosentasche, schaute auf das Display und hielt es Colleen dann entgegen. „Jemand, der Dominic heißt.“
„Oh Gott.“ Ihr wurde schwindlig. Ihre Hand zitterte so stark, dass sie kaum die kleinen Knöpfe bedienen konnte. Nur vage nahm sie wahr, dass Cristiano in seine Jeans stieg und zur Tür ging.
„Dominic, ist alles in Ordnung bei euch?“ Ihre Kehle fühlte sich an, als hätte sie Sand geschluckt. „Stimmt etwas nicht mit Alexander?“
„Colleen, Liebes … bitte, brich jetzt nicht in Panik aus.“ Dominics Worte und sein Tonfall waren alles andere als beruhigend. „Wahrscheinlich ist es nichts Schlimmes“, fügte er hastig an. „Aber gestern hatte er Fieber und klagte über Kopfschmerzen. Und in der Nacht hat er sich übergeben müssen.“
„Oh …“ Es war ein Seufzer der Erleichterung. „Morgen wird es ihm bestimmt schon wieder besser gehen. Eine Magen-Darm-Grippe ist immer unangenehm, aber glücklicherweise dauert so etwas nie …“
„Colleen, Liebes“, fiel Dominic ihr leise ins Wort, „es sieht nicht nach einer Magengrippe aus. Wir haben ihn zur Sicherheit ins Krankenhaus gebracht.“
„Ins Krankenhaus?“, stieß sie entsetzt aus. „O Gott, Dominic, was ist mit ihm?“
„Sie machen ein paar Untersuchungen bei ihm, um ausschließen zu können, dass es etwas Ernstes ist.“
„Etwas Ernstes?“, wiederholte sie wie betäubt. „Was heißt ‚ernst‘?“
„Meningitis.“
Colleen wurde schwarz vor Augen. In ihren Ohren begann es laut zu rauschen. Sie schwankte. Blind tastete sie nach dem Bett und setzte sich.
„Bitte, jetzt nur keine Panik“, wiederholte Dominic. „Alexanders Zustand ist stabil, und er ist in den besten Händen – wirklich. Die Ärzte haben alles unter Kontrolle. Sie müssen nur herausfinden, was genau es ist, damit sie ihm die richtigen Antibiotika verabreichen können.“
Colleen stand auf und begann, ihre Sachen in den Koffer zu stopfen. „Ich sollte jetzt bei ihm sein. Ich muss zu ihm.“
„Sicher, das dachte ich mir schon. Deshalb habe ich einen Flug für dich gebucht, heute um neun ab Nizza. Es ist knapp, ich weiß. Meinst du, du schaffst das?“
„Ja.“ Die Jeans, die über Nacht draußen gelegen hatte, war pitschnass. Trotzdem stopfte Colleen sie zu den anderen Sachen. „Nizza. Um neun. Natürlich schaffe ich …“ Erst jetzt dachte sie wieder an die stundenlange Fahrt Richtung Norden. „Oh Gott, ich weiß nicht …“
„Colleen, alles kommt in Ordnung“, sagte Dominic jetzt, als spräche er zu einem Kind. „Du wirst nicht in dein übliches Muster verfallen und den Teufel an die Wand malen, verstanden? Am Telefon hört es sich schlimmer an, als es in Wirklichkeit ist. Du siehst es dann ja, sobald du hier bist. Alexander fühlt sich nicht gut, er quengelt nach seiner Mummy, aber er wird wieder gesund. Also bitte, bitte, mach dir keine Sorgen.“
„Nein, natürlich.“ Sie ging ins Bad, um ihre Zahnbürste zu holen. Aus dem Spiegel über dem Waschbecken starrte sie ein bleiches Gesicht aus riesigen Augen an. „Sag ihm, dass ich ihn lieb habe, ja? Sag ihm, dass …“ Ihre Kehle war jäh wie zugeschnürt, und sie bekam kein Wort mehr heraus.
„Das kannst du ihm in ein paar Stunden selbst sagen“, meinte Dominic leise. „Ich hole dich vom Flughafen ab. Bis dann.“
Colleen ließ die Hand mit dem Telefon sinken. Tränen strömten ihr über die Wangen, als sie Alexanders Gesicht vor sich sah – sein Lachen, das Grübchen in seine Wangen zauberte, seine dunklen ausdrucksstarken Augen …
„Hier.“
Sie drehte den Kopf und schaute in ein anderes Paar schokoladenbrauner Augen. Cristiano stand vor ihr und hielt ihr einen Becher mit dampfendem Kaffee hin.
„Danke.“ Mit der Tasse schob sie sich an ihm vorbei ins Schlafzimmer. „Ich muss nach Hause zurück.“
„Das dachte ich mir schon.“ Cristiano lehnte sich an den Türrahmen, seine Stimme war kühl und nüchtern.
Colleen zitterte. „Um neun geht mein Flug von Nizza aus. Das heißt, ich muss um acht einchecken. Jetzt ist es …“ Blinzelnd starrte sie auf ihr Handgelenk, bevor sie merkte, dass sie ihre Armbanduhr nicht trug.
Cristiano nahm die Uhr vom Nachttisch neben dem Bett und reichte sie ihr. „Unmöglich. Bis Nizza brauchen wir mindestens fünf Stunden.“
„Aber ich muss
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