Die letzte Nacht der Unschuld
umgehen.“
Colleen leckte sich über die trockenen Lippen und warf ihm einen Blick zu. „Nein, du schliefst wirklich, tief und fest. Du lagst da, völlig reglos, und schienst nicht einmal zu atmen. Ich dachte … ich dachte, du wärst tot.“ Mit großen blauen Augen schaute sie ihn an. „Albern, nicht wahr?“
„Nein, ganz und gar nicht“, sagte er ernst, nachdem er zuerst eine spöttische Bemerkung hatte machen wollen, es sich bei ihrem Blick dann aber anders überlegte. „Als ich mit den Autorennen begann, war meine größte Schwäche, die Konzentration zu halten. Deshalb brachte ich mir Tiefenmeditationstechniken bei. Sie helfen mir nicht nur, mich zu konzentrieren, sondern sie verlangsamen auch den Puls.“ Er nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Brust über seinem Herzen. „Ich habe generell einen langsamen Puls, merkst du es?“
Ihre Augen weiteten sich und wurden dunkler. Im Zimmer war es still, während Colleen seinen Herzschlag unter ihrer Handfläche fühlte – der sich bei ihrer Berührung prompt beschleunigte.
Maledetto ! Was tat er hier eigentlich? Das war das zweite Mal, dass er etwas Privates von sich preisgab. Wenn das so weiterging, würde er ihr noch seine unrühmliche Vergangenheit im Detail beschreiben.
Das würde die ganze Sache wenigstens schnell beenden. Suki hatte recht. Colleen war überhaupt nicht sein Typ. Es gab keine Zukunft, und es war nicht die feine Art, Colleen glauben zu lassen, es gäbe eine. Er würde erwähnen, dass sie besser nach Monaco zurückfahren sollten – sobald er herausgefunden hatte, was er wissen musste.
„Und was passierte dann?“, fragte er rau.
Sie zog ihre Hand zurück und holte hörbar Luft. „Ich fühlte deinen Puls … du wachtest auf … und …“
„Lass mich raten – ich habe die Situation ausgenutzt?“
Sie lachte zitternd auf. „Nein. Versucht hast du es, aber ich … ich bin aus dem Raum gerannt.“
„ Buon per te .“
„Du kamst mir nach. Es war spät geworden, also hast du angeboten, das Interview in deinem Haus zu machen.“
„Und auf der Fahrt habe ich dir dann erst Angst eingejagt und danach die Situation ausgenutzt“, meinte er schneidend. Es war unangenehm, einen Blick auf seine frühere Vorgehensweise zu werfen. Abrupt setzte er sich auf, richtete die Kissen und lehnte sich mit dem Rücken an das Kopfende des Bettes, so weit entfernt wie nur möglich von ihrem bloßen Schenkel.
„Nein, so war es nicht. Du hast Dinner für mich gekocht.“
„Pasta?“
Abrupt hob sie den Kopf. „Du erinnerst dich?“
Cristiano lächelte verzerrt. „Nein. An einem Rennwochenende esse ich nichts anderes.“
„Oh.“ Sie stand auf und stellte sich mit dem Rücken zu ihm ans Fenster. Dann schlang sie die Arme um sich, als wäre ihr kalt, und bot Cristiano damit unbewusst freien Blick auf ihre langen nackten Beine. „Wir haben draußen gesessen und geredet. Ich stellte dir die Fragen, die man mir mitgegeben hatte.“
Cristiano dachte kurz an all die erotischen Kreationen aus Seide und Spitze – manchmal sogar Leder –, die die Frauen getragen hatten, um ihn zu reizen. Warum hatte nichts davon eine so große Wirkung auf ihn gehabt wie diese Frau mit der samtenen hellen Haut und der sanften Stimme? „Habe ich sie beantwortet?“
Colleen drehte sich um und lehnte sich an das Fenster. Mit den schneebedeckten Bergen und der Morgensonne im Rücken hätte sie Werbung für irgendein Gesundheitsprodukt machen können. Sie lächelte. „Nein, nicht wirklich. Du hast das Gespräch so gedreht, dass ich dir schließlich Fragen beantwortete und dir von meinem Vater und meinem Bruder erzählte. Und du hörtest zu.“
Maledizione . Natürlich hatte er zugehört. Das Gespräch von sich ablenken und zuhören, anstatt zu reden, war eine Taktik, die er perfektioniert hatte. So vermied er, irgendetwas von sich preiszugeben. Aber das bedeutete nichts, zumindest nicht ihm. Ihr jedoch war es offensichtlich sogar den Verlust ihrer Unschuld wert gewesen. Er rieb sich über das Gesicht. Im Krankenhaus hatte er oft überlegt, ob der Unfall eine Art Strafe für den Kummer war, den er seiner Mutter bereitet hatte. Jetzt jedoch schien es ihm durchaus denkbar, dass es eine göttlich auferlegte Buße für die Art und Weise war, wie er andere ausgenutzt hatte.
Frauen. So viele, dass die schönen Gesichter und willigen Körper inzwischen zu einer unerkenntlichen Masse verschmolzen waren. Zu viele, um sich zu erinnern.
Caro Dio , welche Ironie
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