Die letzte Nacht der Unschuld
dahin!“ Sie fühlte sich, als würde sie an einem hauchdünnen Faden über einem dunklen Abgrund hängen. „Mein Sohn liegt im Krankenhaus!“
Das Klingeln von Cristianos Handy mischte sich in ihren verzweifelten Ausbruch. Cristiano wandte sich ab und sprach in schnellem Italienisch in den Hörer. Seine Gleichgültigkeit bereitete Colleen körperliche Qualen. Still fragte sie sich, ob er bereits Vorkehrungen traf, um Ersatz für sie herbeizuschaffen.
Und das war der Mann, für den sie ihren Sohn allein zurückgelassen hatte. Sie meinte, ihr Herz müsse zerreißen. Sicher, sie hatte gewusst, dass es kein Happy End geben würde. Aber sie hätte gedacht, dass Cristiano und sie in den letzten Stunden zumindest eine gewisse Nähe zueinander gefunden hätten …
Es war nicht mehr als Sex, dachte sie ausgebrannt. Für sie bedeutete das Nähe, ihm bedeutete es nichts.
Sie begann, Sachen aus dem Koffer zu zerren, die sie anziehen konnte. Ihr blieb nur das schwarze knielange Kleid, das sie für den Fall mitgenommen hatte, dass sie in Monaco irgendwo schick ausgehen würde.
Als sie es anzog, hatte sie das Gefühl, als würde sie sich für eine Beerdigung fertig machen.
Oh bitte, nein …
Sie presste die Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu unterdrücken. Ihrem kleinen Jungen durfte nichts zustoßen. Sie musste irgendwie nach Hause kommen. Die Sehnsucht nach Alexander schnitt wie ein scharfes Messer in ihr Fleisch.
Cristiano beendete sein Gespräch, und Colleen merkte, dass er sich wieder zu ihr umdrehte. Sie brachte es jedoch nicht über sich, ihn anzusehen.
„Das war Suki“, sagte er tonlos. „Die gute Nachricht ist, dass sie eine Privatmaschine auf dem Flughafen in Lyon organisiert hat.“
Colleen hob ruckartig den Kopf und wagte nicht zu glauben, was er sagte. „Du meinst, ich kann doch noch heute nach Hause fliegen?“
„Die Maschine wartet auf dich. Du brauchst dein Gepäck nicht aufzugeben, das heißt, im Endeffekt sparst du sogar Zeit. Du wirst schneller zu Hause sein, als wenn du den Flug in Nizza genommen hättest.“
„Danke.“ Sie konnte nur flüstern. Hoffnung und Dankbarkeit glommen in ihr auf. „Und die schlechte Nachricht?“
Cristianos ironisches Lächeln zerrte an ihren Nerven. „Für einen Helikoptertransfer ist es zu neblig. Ich fürchte, ich werde dich hinfahren müssen.“
Das atemberaubende Farbspiel am Himmel gestern Abend schien wie ein Traum aus weit zurückliegenden Zeiten. Dichter grauer Nebel verdeckte die Bergkuppen und hing über der kahlen Winterlandschaft. Die Sonne am Tag zuvor hatte den Schnee etwas schmelzen lassen. In der Nacht war er wieder gefroren und hatte die Bergstraßen in spiegelglatte Fahrbahnen verwandelt. Nicht unbedingt Bedingungen, für die der Campano entworfen worden war, aber mit den Schneeketten ließ er sich erstaunlich gut manövrieren.
Was nur beweist, wie sehr der äußere Schein trügen kann, dachte Cristiano grimmig, während er konzentriert das Lenkrad hielt. Da hatte er geglaubt, er hätte Geheimnisse zu wahren, und dabei hatte Colleen die ganze Zeit über selbst ziemlich wichtige Dinge geheim gehalten.
„Wie alt ist dein Sohn?“
Bei seiner unverblümten Frage zuckte sie zusammen. Oder vielleicht war es auch sein Ton, der sie so nervös machte. „Drei.“
„Dominic und du, ihr seid verheiratet?“
Er war sich ihrer großen blauen Augen bewusst, die voller Entsetzen auf seinem Gesicht lagen. „Großer Gott, nein! Dominic ist nicht der Vater, er ist mein Chef. Er und seine Frau Lizzie sind Freunde von mir. Ihre Tochter Ruby ist ungefähr im gleichen Alter wie Alexander. Er war bei ihnen, damit ich …“ Sie brach abrupt ab.
„Es ist nicht deine Schuld“, sagte er harsch und fragte sich, warum er sich so erleichtert fühlte, dass dieser Dominic nicht der Vater ihres Sohnes war. Irgendwo gab es einen Vater, aber er konnte keinen Grund finden, warum ihn die Identität des Mannes interessieren sollte. Die Tatsache, dass Colleen Mutter war, war das, was zählte. Man amüsierte sich nicht mit Müttern. Man hatte keinen lockeren Sex mit Frauen, die Kinder hatten. Kinder bedeuteten immer eine feste Bindung. Und er machte sich nun einmal nichts aus festen Bindungen.
Aber warum versuchte er nun, sich so verkrampft davon zu überzeugen?
Automatisch drückte er das Gaspedal durch und überholte mehrere Autos, bevor ihm wieder einfiel, dass Colleen Angst vor hoher Geschwindigkeit hatte.
„Soll ich langsamer fahren?“
Sie schüttelte
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